#YesWeCare: Ein Lichtermeer ist nicht genug
Die #YesWeCare Kundgebung am Ring in Wien war schön. Aber das Lichtermeer ist als Signal für den Kampf gegen die Pandemie nicht genug.
Den ganzen Sonntag bliesen starke Windböen durch Wiens Straßen. Nur als um 19:00 zigtausende Menschen mit Kerzen in den Händen auf die Straße traten, schien der Wind kurz Gnade zu zeigen und eine Pause einzulegen. Das Lichtermeer als Gedenken an die rund 13.500 Toten der Corona-Pandemie in Österreich konnte also wie geplant leuchten.
Die Veranstaltung fand unter dem Titel #YesWeCare statt. Sie füllte sich vor allem mit Leuten, die sich persönlich von den anderen Demos abgrenzen, die in den letzten Monaten stattfanden.
Es ist ja normal geworden, dass sich viele normale Menschen an Samstagen nicht mehr in die Innenstadt wagen, weil dort aggressive Rechtsradikale ohne Masken schreiend in die Öffis drängen, Journalist:innen beschimpfen und Passant:innen bedrohen und sich mit der Polizei Scharmützel liefern.
Sie laufen dort mit Transparenten über ihre völkischen Verschwörungsmythen herum und intonieren Parolen vom Volksverrat und Diktatur. Unter den Zehntausenden bei diesen Demos finden manche das alles vielleicht nicht optimal, aber sie stören sich daran jedenfalls zu wenig, um daheim zu bleiben. (Warum das nicht ganz normal ist.)
Aber explizit war die Veranstaltung dabei nicht. In der Kommunikation stand die Versöhnlichkeit im Mittelpunkt. Gedenken an die Toten. Unterstützung für das Gesundheitspersonal. Dagegen kann eigentlich niemand bei Verstand sein. Das Lichtermeer war friedlich, freundlich, respektvoll und ruhig. Menschen hielten sich an Abstandsregeln, an Maskenpflicht und suchten hier weder nach Schuldigen noch Gegner:innen.
Das war schön. Und das wird zu wenig sein.
Rechtsextreme mischen sich ins Lichtermeer
In den Stunden nach der Kundgebung wurde bekannt, dass sich auch hier Rechtsradikale und Rechtsextreme unter die Menge gemischt haben, die sonst die Maßnahmen-Demos mittragen. Bevor hier fälschlicherweise etwas gleichgesetzt wird: Hier taten sie das nicht auffällig und mit Transparenten. Soweit bekannt waren diese Leute im Lichtermeer nicht erkennbar. (Ich war auf der anderen Seite des Rings und kann das nicht selbst beurteilen.) Und sie hatten vorher wohl auch nicht dafür mobilisiert.
Über ihre eigenen Medienkanäle versuchten sie allerdings, das Lichtermeer hinterher in ihrem Sinne zu deuten. Natürlich habe man auch Respekt vor den “offiziellen” Toten und Pflegekräften – so die inszenierte Botschaft. Das hier sei schließlich keine Gegendemo zu ihren. Deshalb sei man da. Und ach ja: Kommt dann bitte beim nächsten Mal wieder dorthin, wo wir ganz vorne marschieren. Einige Medien boten ihnen für diese durchsichtige Inszenierung auch noch eine Plattform und verbreiteten ihre Videos. Weil man das in Österreich mit Rechtsextremen halt ganz normal so tut. Man weiß nicht, wen man dafür schütteln möchte.
Versöhnlichkeit wird instrumentalisiert
Diese rechte Provokation zeigt vielleicht am klarsten, wie sinnlos es ist, passive Signale in diese Richtung der “Debatte” zu schicken. Das Lichtermeer sollte ein versöhnliches Signal sein. Es verzichtete dafür auf eine klare Kante und Haltung zum unübersehbaren Elefanten im Raum – den Maßnahmen-Gegner:innen. Die Veranstaltung suchte nicht die Konfrontation mit dieser Minderheit. Politik und Maßnahmen gegen die Pandemie blieben außen vor. Als vielsagende Geste und “Dank” wurde das Lichtermeer sofort instrumentalisiert. Die Gedenkveranstaltung für 13.500 Tote wurde für rechte Maßnahmen-Gegner:innen nur zu einer weiteren Gelegenheit, für sich selbst zu mobilisieren – gegen Maßnahmen, die für niemanden schön sind, aber schlicht mehr Tote, Kranke und ausgebranntes Gesundheitspersonal verhindern sollen.
Diese Leute haben kein Interesse an Versöhnlichkeit. Sie zeigten sich beim Lichtermeer schlimmstenfalls zur spöttischen Trollerei, bestenfalls als taktisches Manöver. Jedenfalls aber ohne jeden Respekt für die Absicht der Veranstaltung und dafür, was die Masse der Menschen hier dachte. Man kann nicht an einem Tag der Toten gedenken und das Gesundheitspersonal unterstützen und am anderen Tag vor Spitälern demonstrieren und maskenlos in Öffis herumschreien, in denen auch Risikogruppen sitzen.
Diese Leute – und alle, die sich trotz aller nun bekannten Verbindungen der Demos zu ihnen weiter mit ihnen scharen – sind nicht wenige und sehr laut, aber doch eine klare Minderheit im Land. Doch auch wenn die Politik und Poster:innen in Sozialen Medien zunehmend genervte Worte für sie finden: weder Staat noch Mehrheit stellen sich ihnen wirklich entschlossen entgegen.
All das ist keine Kritik am schönen, kurzen Lichtermeer vom Sonntag. Aber es wird mehr Signale der Mehrheitsgesellschaft brauchen, die von den Leuten auf rechtsradikal durchzogenen Anti-Maßnahmen-Demos nur als eines zu verstehen sind: als Gegenwind. So wie die Böen, die um 19:30 am Weg mit dem Rad nach Hause wieder spürbar stärker wurden.
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