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Demokratie

Macrons Spiel mit dem Feuer: Was du zur Wahl in Frankreich wissen musst

Macrons Spiel mit dem Feuer: Was du zur Wahl in Frankreich wissen musst
Frankreichs Präsident Macron löste das Parlament auf. Bei der Wahl könnte das rechtsextreme RN von Marine Le Pen triumphieren. // Foto: Belgian Presidency of the Council of the European Union / Julien Nizet
Ab dem 30. Juni sind Frankreichs Wähler:innen aufgerufen, die 577 Sitze im Parlament neu zu verteilen. nach dem Triumph des Rassemblement National von Marine Le Pen bei der EU-Wahl, hatte Präsident Emmanuel Macron die Nationalversammlung aufgelöst. Nun steht Marine Le Pen vor einem Triumph und Macron vor der nächsten Schlappe. Oder doch nicht? Wie die Wahl läuft und was dann passiert.Was Frankreichs Wahlsystem so kompliziert macht und was danach passieren kann.

Mit einem Knall beendete Präsident Emmanuel Macron den Abend der Europawahl am 9. Juni. Er löste kurzerhand das französische Parlament, die Nationalversammlung, auf. Jetzt geht es schnell: Ab dem 30. Juni sind Frankreichs Wähler:innen aufgerufen, die 577 Sitze im Parlament neu zu verteilen. Wie das funktioniert und welche Folgen die Wahl haben könnte, erklären wir dir hier.

Warum wählt Frankreich ein neues Parlament?

Die EU-Wahl vor drei Wochen brachte ein desaströses Ergebnis für Macrons Wahlbündnis. Im Vergleich zum ersten Wahlgang bei der nationalen Parlamentswahl 2022 verlor er mehr als 11 Prozentpunkte. Gleichzeitig siegte das rechtsextreme Rassemblement National (RN) erdrutschartig: 31,4 Prozent der französischen Wähler:innen stimmten für die Partei von Macrons stärkster Konkurrentin für das Präsidentenamt, Marine Le Pen. Ein Plus von fast 13 Prozentpunkten. 

Macrons Schritt kam unerwartet, er war nicht notwendig und manche sagen: Macron handelte unverantwortlich. Denn bei der am 30. Juni startenden Parlamentswahl könnte er als großer Verlierer dastehen – und das Rassemblement National als Triumphator.

Macron selbst will mit seinem Schritt wohl Stärke zeigen: Besser in die Offensive gehen als mit dem Makel der Niederlage seine weitere Präsidentschaft durchstehen zu müssen. Macron hofft offenbar, dass Frankreichs Wähler:innen die Parlamentswahl zur Volksabstimmung für oder gegen die extreme Rechte des RN machen. Und sich im Zweifel für das geringere Übel entschieden – also für ihn. Schneidet die Präsidentenpartei deutlich besser ab als bei der EU-Wahl, könnte Macron das zumindest als Teilsieg verkaufen.

Von Neue Voksfront bis RN: Wie stehen die Umfragen vor der Wahl?

In den letzten Umfragen pendelte das RN zwischen 29,5 und 35 Prozent der Stimmen. Macrons Ensemble kommt in den Umfragen auf 16 bis 19 Prozent, legte zuletzt jedoch zu. Zwischen beiden liegt das neu gegründete linke Wahlbündnis Nouveau Front populaire – deutsch: Neue Volksfront – mit 22 bis 28,5 Prozent.

Allerdings lässt sich aus der Stimmenverteilung nicht herauslesen, wie die Stärkeverhältnisse in der Nationalversammlung sein werden. Bei der Wahl 2022 etwa lag Macrons Wahlbündnis im 1. Wahlgang nach Stimmen nur 0,1 Prozent vor dem links-ökologischen Bündnis Nouvelle union populaire écologique et sociale (NUPES). Während Ensemble am Ende 245 Parlamentarier:innen stellte, waren es nur 131 für NUPES. Das liegt am Mehrheitswahlrecht in Frankreich.

Wie wird das Parlament in Frankreich gewählt?

Einmal ein Kreuzchen machen, den Zettel in die Wahlurne werfen und wenig später ist klar, wie die Abgeordneten im neuen Parlament heißen? Nicht in Frankreich. Hier geht es in die Verlängerung. Und zwar dann, wenn kein:e Kandidat:in im ersten Wahlgang mindestens die Hälfte der Stimmen eines Wahlkreises für sich verbuchen kann.

Zweite Hürde: Wer schon im ersten Wahlgang ins Parlament kommen will, muss mindestens 25 Prozent der Stimmen aller Wähler:innen eines Wahlkreises erhalten. Das schafft so gut wie niemand. Bei der Wahl 2022 wurden nur 5 der 577 Sitze im französischen Parlament im ersten Wahlgang vergeben.

Was passiert, wenn niemand die absolute Mehrheit hat?

Dann müssen die Wähler:innen eine Woche später erneut in die Wahllokale gehen. Auf dem Stimmzettel stehen dann nur noch die Kandidat:innen, die im ersten Wahlgang mindestens 12,5 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten, auch die der Nichtwähler:innen, auf sich vereinigen konnten. Auf die Wahlbeteiligung kommt es also auch an. Die war bei der Wahl 2022 historisch niedrig: Nur 47,5 Prozent der Berechtigten gingen überhaupt zur Wahl.

In jedem Fall qualifizieren sich die beiden stimmenstärksten Kandidat:innen der ersten Runde. Sonst könnte es dazu kommen, dass plötzlich niemand mehr auf dem Stimmzettel steht, weil niemand diese Hürde genommen hat.

Danach wird es etwas einfacher: Gewinner:in in der zweiten Runde ist die Person, die die meisten Stimmen in ihrem Wahlkreis erhält. Davon gibt es 577. Aus jedem davon zieht eine Person ins Parlament ein. Es gilt also: The Winner takes it all.

Warum arbeiten konkurrierende Parteien bei der Frankreich-Wahl zusammen?

Weil nur die Gewinner:innen der Wahlkreise ins Parlament einziehen, bilden die Parteien vorher Wahlbündnisse. Mehrere Parteien einigen sich hier auf eine:n Kandidat:in, die sie unterstützen. Das steigert die Chancen, einen Wahlkreis zu gewinnen.

Frankreichs Parteiensystem ist extrem zersplittert. Dem Wahlbündnis Ensemble pour la majorité présidentielle – deutsch: Zusammen für die Präsidentenmehrheit – von Emmanuel Macron gehören sechs Parteien an. Dessen Partei Renaissance, früher bekannt als La République en Marche, gibt hier den Ton an.

Die Parteienbündnisse wechseln ständig, entweder den Namen oder ihre Mitglieder. Die bei der Wahl 2022 zweitplatzierte NUPES ist bereits Geschichte. Ihre „Nachfolgerin“ ist nun das NFP. Ihr gehören sogar 19 einzelne Parteien an. Die stärksten unter ihnen sind die Parti Socialiste und La France insoumise, deutsch: Unbeugsames Frankreich. 

Zahlreiche Mitglieder von Les Républicains kündigten an, mit der RN ein Bündnis eingehen zu wollen. Gemäßigte Kräfte in der Partei des ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy lehnen den Schritt zu den Rechtsextremen ab. Die Republikaner sind nun völlig zerstritten und stehen vor einem Scherbenhaufen.

Was passiert, wenn Macron seine Parlamentsmehrheit verliert?

Selbst die größten Optimist:innen von Macrons Ensemble werden davon ausgehen müssen, dass ihr Bündnis die Mehrheit der Sitze im Parlament verliert. Für den Präsidenten selbst hieße das nicht viel. Er ist direkt vom Volk gewählt, das Parlament kann ihn nicht abwählen. Aber: Hat er keine Mehrheit im Parlament hinter sich, wird es ihm schwerer fallen, Gesetzesvorhaben durchzubringen.

Schon seit den Wahlen 2022 hat Macrons Lager nicht mehr die absolute Mehrheit. Sollte Frankreichs Präsident nach der Wahl gegen eine Mehrheit im Parlament regieren müssen, wird es für ihn noch ungemütlicher. Dieser „Cohabitation“ genannte Patt zwischen Präsident und Parlament ähnelt dem „Divided Government“ in den USA – die Mehrheit im Kongress gehört einer anderen Partei als der des Präsidenten.

Was bedeutet die Wahl für Frankreichs Regierung?

Fest steht: Frankreichs Regierung wird nach der Wahl eine andere sein. Premierminister ist Macrons Parteikollege Gabriel Attal. Der wurde erst am 9. Jänner dieses Jahres ernannt. Formal könnten er und sein 13-köpfiges Kabinett zwar weiterregieren. Die Amtszeit einer französischen Regierung ist nicht beschränkt.

Dennoch ist es politische Praxis, dass der Premierminister am Abend der Parlamentswahl seinen Rücktritt anbietet – selbst wenn seine Fraktion die Mehrheit behält. Und: Die Nationalversammlung kann der Regierung das Misstrauen aussprechen. Wechselt die Mehrheit zu einer anderen Fraktion, würde sie das wohl als erstes tun.

Wieso kann Frankreichs Regierung das Parlament ausschalten?

Eine Eigenheit des politischen Systems Frankreich ist, dass die Regierung das Parlament bei Haushaltsgesetzen und einem weiteren Vorhaben übergehen kann. Artikel 49.3 der französischen Verfassung erlaubt das.So wurde 2023 eine Rentenreform durchgebracht, für die sich keine Mehrheit unter den Parlamentarier:innen fand. Also wurde die Abstimmung abgesagt und die Reform durchgedrückt. Der folgende Misstrauensantrag scheiterte. Beim französischen Volk kam das nicht gut an. Davor und danach protestierten Bürger:innen wochenlang. Macron rutschte in Umfragen ab.

Was passiert, wenn das Rassemblement National von Marine Le Pen gewinnt?

Stellt das Rassemblement National nach der Wahl die Mehrheit der Abgeordneten, wird Parteiführer Jordan Barella sehr wahrscheinlich Premierminister und damit zum Gegenspieler des Präsidenten. RN könnte erstmals nationale Politik gestalten, und müsste sich beweisen. Populistische Forderungen lassen sich leicht herausschreien – etwa die, französische Staatsbürger:innen bei Arbeitssuche und Sozialleistungen zu bevorzugen. Ob sich so etwas einführen lässt, ohne bestehendes Recht zu brechen, ist eine andere Frage.

Was will das Rassemblement National?

RN will die Migration radikal beschränken und lehnt Maßnahmen im Kampf gegen die Klimakrise ab. Sonst bleibt alles vermeintlich ziemlich wolkig: Im Vorfeld versprach die Partei so ziemlich jeder Gruppe Entlastung, mehr Geld oder beides. Expert:innen berechneten, dass Frankreichs jetzt schon hohe Staatsverschuldung damit auf mehr als 8 Prozent steigen könnte.

Geplante protektionistische Maßnahmen des „Frankreich zuerst“ würden die Wirtschaft wohl eher schwächen als stärken. Zudem müsste sich auch RN damit herumplagen, im Parlament Mehrheiten für seine Vorhaben zusammenzubekommen. Gut möglich, dass sich die rechtsextreme Partei dabei abnutzt.

Genau das scheint auch Kalkül von Macron zu sein: Rassemblement National jetzt in die Regierung holen, damit die sich dort gehörig entzaubern – und Spitzenkandidatin Marine Le Pen bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2027 erneut scheitert. Es ist aber ein Spiel mit dem Feuer.

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • frizzdog
    24.06.2024
    man kann es kaum glauben, dass in diesem land tatsächlich einmal eine "Pariser Commune" existierte...
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