Gegengelesen: “Heute” und „Agenda Austria“ bejubeln, dass Arbeitslose nichts mehr dazu verdienen dürfen
Arbeitssuchende dürfen künftig nicht mehr bis zu 551,1 € dazuverdienen, während sie Arbeitslosengeld beziehen. Was der neoliberale ThinkTank „Agenda Austria“, der stets Wirtschaftsinteressen der Unternehmen und Industriellen vertritt, die ihn finanzieren, hier als “Schritt in die richtige Richtung” bezeichnet, ist verheerend für Menschen, die eh schon finanziell zu kämpfen haben.
Das aktuelle Modell sei laut „Agenda Austria“ “kein Anreiz, am Arbeitsmarkt teilzunehmen”. Doch so einfach ist es nicht: Studienergebnisse des WIFO ergaben zwar, dass die Aufnahme eines geringfügigen Jobs von Arbeitssuchenden die Dauer der Arbeitslosigkeit verlängert. Bei genauerer Betrachtung der Studie trifft das aber hauptsächlich für Männer, Personen im Haupterwerbsalter, mit höherem Bildungsgrad und mit keiner, kurzer oder mittlerer Arbeitslosigkeitsdauer zu. Das sind also Menschen, die nicht den erstbesten Job annehmen müssen, sondern ein bisschen nach einem guten suchen können.
Auf Frauen mit Kindern oder Menschen zwischen 45 und 55 Jahren trifft die Behauptung kaum zu.
Leidtragende sind besonders vulnerable Gruppen
Bei Frauen ohne Kinder, Personen mit geringerem Bildungsgrad und Langzeitarbeitslosen (über 366 Tage) führt eine geringfügige Beschäftigung sogar dazu, dass sie schneller wieder einen Job finden. Eine französische Studie kommt überhaupt zu dem Ergebnis, dass eine atypische Beschäftigung von Arbeitssuchenden die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten Monaten eine Fixanstellung zu bekommen, um 87 Prozent erhöht. Das hat auch damit zu tun, dass Menschen eben durch so eine Beschäftigung auch in schwierigen Zeiten zumindest einen Fuß im Arbeitsleben behalten. Diese Möglichkeit und Anbindung nimmt man ihnen, wenn man sie verbietet.
Fazit: Die Leidtragenden der neuen Regelung sind also überwiegend eh schon vulnerable Gruppen, die insgesamt wirtschaftlich schlechter aufgestellt sind und auch schlechtere Karten auf dem Arbeitsmarkt haben. Sie werden schneller wieder in den Arbeitsmarkt gedrängt. Vorschnell einen Job annehmen zu müssen, kann dazu führen, dass man schnell wieder unzufrieden wird oder niedrigere Gehälter in Kauf nehmen muss. Ein zu niedriges Arbeitslosengeld verschlechtert deshalb die Löhne im Land. Und schlechte Löhne sind dann wiederum der Grund, warum der Unterschied zum Arbeitslosengeld mit schlechten Rechnungen lächerlich gemacht werden kann.
“Agenda Austria” und “Heute” versuchen mit einem absurden Rechenbeispiel, ihre Argumente zu verkaufen. “Max Mustermann” habe vor seiner Arbeitslosigkeit 3.000 € brutto im Monat verdient. Damit hatte er zwar ein typisches Einkommen, ist aber deshalb noch lange kein typischer Arbeitsloser. Und noch weniger typisch macht ihn, dass er daneben die Geringfügigkeit das ganze Jahr über soweit es geht ausreizt. So komme er in der Arbeitslosigkeit auf ein Fantasie-Einkommen von 25.253 € netto im Jahr – 2.104, 42 € im Monat. Der fleißige “Franz Musterhackler” müsse dafür 31 Stunden in der Woche “rackern”, beklagt die “Heute”.
Was der Artikel dabei verschweigt, ist die Realität: 9 von 10 Arbeitslosen leben unter der Armutsgrenze. Im Schnitt liegt das Arbeitslosengeld in Wahrheit mit 1.091€ rund 300€ unter der Armutsgrenze. Mit der früheren Möglichkeit, geringfügig zu arbeiten und monatlich 551,10€ dazu zu verdienen, wären das maximal 1.642 € Einkommen im Monat. Rund 500 € unter dem Fantasie-Arbeitslosen des Artikels.
Arbeitslosengeld in Österreich niedrig
Das Arbeitslosengeld in Österreich ist im europäischen Vergleich zu Beginn ohnehin schon besonders niedrig. Keine Person lebt freiwillig in der Arbeitslosigkeit, wenn es passende Arbeit, faire Löhne und nachhaltige Perspektiven für arbeitssuchende Menschen geben würde oder ihre Lebensrealität zum Beispiel durch Krankheit oder unbezahlte Care-Arbeit es erlauben würde.
Außerdem kann Arbeitslosigkeit vor allem psychisch belastend für finanziell schlecht gestellte Personen sein. Ängste und Depressionen vermehren sich, Betroffene verlieren an Selbstwertgefühl und befinden sich dadurch auch oft in sozialer Isolation.
Noch ein bisschen absurder wird es in der Online-Ausgabe der “heute”. Da beklagt der Text noch, dass jemand, der 1.500 Euro brutto verdient und dafür 40 Stunden die Woche arbeite, keine Chance habe, auf das Geld eines geringfügig beschäftigten Arbeitslosen zu kommen. Man könnte auf die Idee kommen, dass hier ein geradezu absurd niedriger Lohn für Vollzeitarbeit das große Problem sein könnte – trotzdem wird diese Situation nicht als Lohndumping, sondern als Teil einer angeblichen “Geringfügigkeitsfalle” dargestellt.
Am Ende des Textes schlägt die Agenda Austria noch weitere Verschlechterungen für Arbeitslose vor. Mit dem Vorschlag eines “degressiven Arbeitslosengeldes” (eines, das mit der Zeit weniger wird) wird Armut bei eh schon größtenteils armutsbetroffenen Menschen noch mehr verstärkt. So ist jeder dritte Arbeitslose armutsgefährdet. Bei Langzeitarbeitslosen ist es sogar jede zweite Person. Und gerade die sollen noch mehr mit degressivem Arbeitslosengeld bestraft werden.
Dass ein degressives Arbeitslosengeld zu schnellerer und mehr Beschäftigung führt, stimmt außerdem nicht. Würde die “Heute” für ihre Texte nicht nur die Agenda Austria befragen, hätten ihre Leser:innen das vielleicht auch erfahren.
Das könnte dir auch gefallen
- Falsche Debatte um Arbeitslosigkeit: Wir müssen Jobs schaffen statt Zuverdienste zu streichen
- Gehts den Börsen gut, gehts den Börsen gut – gehts den Börsen schlecht, gehts uns allen schlecht
- Hohe Löhne sind nicht Teil des Problems – sie sind Teil der Lösung
- Budgetloch: Gespart wird immer nur bei der Mehrheit
- Die Krise wird nach unten weitergereicht
- Milliardengeschenke für Banken – Verluste für uns alle
- Feiertag streichen ist Lohnraub
- Der Staat hat kein Ausgabenproblem – sondern ein Gerechtigkeitsproblem