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Klimakrise

Das vielleicht wichtigste Naturschutzgesetz: Wie sieht Renaturierung in Österreich aus?

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“Irgendwas stimmt nicht mit diesem Fluss”, dachte ich als Kind, als ich den Rhein zum ersten Mal sah. Er fließt gerade und von Dämmen eingefasst zwischen Vorarlberg und der Schweiz Richtung Bodensee. Keine Kiesinseln oder Sträucher, kaum Tiere. Das soll sich ändern. Im Zuge des Hochwasserschutzprojektes “Rhesi” wird der Fluss wieder natürlicher. Wie sieht Renaturierung in Österreich aus? Wir sehen es uns an und beantworten alle wichtigen Fragen.

Ich bin auf dem Land groß geworden. Ich weiß, wie Flüsse ausschauen, wenn der Mensch nicht oder kaum eingreift. Ich weiß, dass mal hier eine Kiesinsel liegt und nach dem nächsten Regen vielleicht woanders eine ist. Mal hier eine tiefe Stelle, mal da. Hier ein paar Fische, Frösche, manchmal sieht man einen Molch und andere Tiere. 

So sieht der Rhein nicht aus.

Er wurde begradigt und mit Dämmen auf jeder Seite eingeengt. Dadurch hat er mehr Schubkraft und transportiert den Kies bis in den Bodensee. Dort wird er dann heraus gebaggert. Bleibt der Kies nämlich entlang des Flusses liegen, steigt die Flusssohle und damit der Wasserspiegel – es kommt schneller zu Hochwasser. Die Eingriffe dienten also dem Hochwasserschutz. Die Folge: Es gibt kaum mehr Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Das soll sich ändern. 

Renaturierung in Österreich: Wie kann renaturiert werden?

Die Internationale Rheinregulierung will mit dem Projekt “Rhesi” den Rhein umgestalten. Es  soll dafür sorgen, dass der Rhein noch höhere Wassermengen fassen kann. In erster Linie ist es also wieder ein Hochwasserschutzprojekt.. 

Aber nicht nur: Der Rhein soll dadurch auch wieder natürlicher werden und fließen. Die mittleren Dämme sollen weg. Damit bekommt der Fluss mehr Platz. Es sollen wieder Kiesinseln und unterschiedliche Lebensräume für verschiedene Tier- und Pflanzenarten entstehen. 

Andere Flüsse wurden bereits wieder naturnah gestaltet und auch andere Lebensräume in Österreich wie Moore. Es sollen noch mehr werden. Nicht nur in Österreich. EU-weit sollen mehr Lebensräume renaturiert werden. 

Warum renaturiert man?

Tiere und Pflanzen brauchen intakte Ökosysteme als Lebensräume. Diese zu erhalten und beschädigte Flächen wiederherzustellen ist wichtig im Kampf gegen das Artensterben, also die Biodiversitätskrise. Sie ist neben der Klimakrise eine der dringlichsten Krisen unserer Zeit. Es geht dabei nicht nur um Artenschutz – sondern auch um unsere Lebensgrundlage als Menschen. 

Das zeigt auch folgendes Beispiel: Wir brauchen Gemüse und Obst, um uns zu ernähren. Die Pflanzen brauchen wiederum Insekten, die sie bestäuben. Sterben diese Insekten, weil sie keinen Lebensraum mehr haben, ist unsere Lebensmittelsicherheit gefährdet. Funktionierende Ökosysteme sind also unerlässlich für unsere Lebensmittelsicherheit – doch damit längst nicht genug. 

Gesunde Böden nehmen beispielsweise Wasser auf. Sie versorgen uns dadurch mit Trinkwasser und schützen gleichzeitig vor Hochwasser. Letzteres tun auch natürliche Flüsse mit unversiegelten Flussufern.

Intakte Böden, Wälder und insbesondere Moore speichern außerdem Kohlenstoff und sind damit wichtige Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise. Und natürliche Lebensräume dienen uns Menschen als Erholungsgebiete. 

80 % der Flächen in der EU in schlechtem Zustand

Wir haben diese Gebiete aber über Jahrhunderte zurückgedrängt. Das führt zu schwerwiegenden Problemen. Und die Politik beginnt nun endlich, etwas dagegen zu tun. In der EU soll es künftig wieder mehr intakte Lebensräume geben. 

Dafür soll das Renaturierungsgesetz (offiziell “Gesetz zur Wiederherstellung der Natur” oder englisch “Nature Restoration Law”) sorgen. Es ist ein wichtiges Werkzeug in diesem Kampf, wegen vieler Falschinformationen durch rechte Parteien war es trotzdem lange umstritten. Das Gesetz besagt, dass beschädigte Lebensräume wieder in einen besseren, natürlicheren Zustand gebracht werden sollen. Dabei geht es allem voran um bereits geschützte Lebensräume. Denn EU-weit sind 80 Prozent dieser Lebensräume in einem schlechten Zustand. 

Was soll renaturiert werden?

2022 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für zur Wiederherstellung geschädigter, verschlechterter oder zerstörter Ökosysteme vorgelegt. Die Verordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten, diese Lebensräume wieder in einen guten ökologischen Zustand zu bringen. 

Für viele Flächen gibt es bereits gesetzliche Grundlagen. Dazu zählen zum Beispiel der europäische Green Deal oder die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie. Das trifft beispielsweise auf geschützte Wälder, auf Flüsse, Seen und Moore zu. 

Für andere Flächen wie Wirtschaftswälder, städtische Grünräume und landwirtschaftliche Ökosysteme gibt es bislang keine solch schützende Richtlinien. Auch hier soll das Renaturierungsgesetz helfen. Was genau renaturiert wird, bestimmt aber nicht das EU-Gesetz, sondern die Politik vor Ort. 

Die Abstimmung über Renaturierung: Eine kleine Regierungskrise in Österreich

Vertreter:innen der Mitgliedstaaten haben diesen Vorschlag im EU-Parlament diskutiert, abgeschwächt und einen Kompromiss ausgearbeitet. Im Februar 2024 stimmte das Europäische Parlament für den in diesem demokratischen Prozess ausgearbeiteten Gesetzesentwurf zur Wiederherstellung der Natur. Es fehlte nur noch die Zustimmung des EU-Rates. Diese gilt nach der langen Verhandlungen als Formsache. Diese Abstimmung wurde aber zu einem EU-weiten Politikum – und führte zu einer Regierungskrise in Österreich. 

Ehe es zur Zustimmung im EU-Rat kam, zogen einzelne Länder ihre Zustimmung plötzlich wieder zurück. Darunter auch Österreich. Hierzulande blockierten die Bundesländer eine Zustimmung zum Gesetz. Das ließ Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) zuerst keine Möglichkeit, für das Gesetz zu stimmen. Kurz vor der Abstimmung rückten Wien und Kärnten jedoch von ihrer Blockadehaltung ab. Damit war keine einheitliche Position der Länder mehr gegeben und laut Grünen eine Zustimmung rechtlich möglich. Sie beriefen sich auf juristische Gutachten, die sie vorab einholten. Nur bei einer geschlossenen Blockade aller Bundesländer wäre die Umweltministerin gezwungen gewesen, sich zu enthalten. Und die hatte es nicht mehr gegeben. Im Juni stimmte Leonore Gewessler dann dafür und ermöglichte so die notwendige Mehrheit im EU-Rat. 

Der große Koalitionsparter ÖVP war empört und sprach von Rechtsbruch.

Wie sieht Renaturierung in Österreich aus?

Die Entscheidung spaltete die Meinungen. Befürworter:innen betonten die sachliche Notwendigkeit und waren Gewessler dankbar für ihren Mut. Bei Gegner:innen war die Empörung groß über den “Grünen Alleingang” (Umfragen zeigten übrigens, dass eine Mehrheit der Bevölkerung hinter dieser Entscheidung steht). Was bei ihnen: Das Gesetz selbst und was es für Europa, für Österreich, für Mensch und Natur bedeutet. 

Was heißt Renaturierung in der Praxis? Wie sieht Renaturierung in Österreich aus? All diese Fragen rund um das vielleicht wichtigste Naturschutzgesetz unserer Zeit beantworten wir in der neuen Doku “Die Wahrheit über Renaturierung” von MOMENT.at.

Weiterlesen:

Hinweis: In der ersten Version hieß es in dem Text: „Dafür soll das Renaturierungsgesetz (offiziell “Gesetz zur Wiederherstellung der Natur” oder englisch “Nature Restoration Law”) sorgen. Es ist ein wichtiges Werkzeug in diesem Kampf, wegen vieler Falschinformationen durch rechte Parteien war es trotzdem lange umstritten. Das Gesetz besagt, dass beschädigte Lebensräume wieder in einen besseren, natürlicheren Zustand gebracht werden sollen. Dabei geht es allem voran um bereits geschützte Flächen. Denn EU-weit sind 80 Prozent dieser Flächen in einem schlechten Zustand.“ Wir wurden darauf aufmerksam gemacht, dass Lebensräume anstelle von Flächen die korrekte Bezeichnung wäre und haben den Text am 03. September 2024 angepasst.

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    Kommentare 2 Kommentare
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  • Arno
    31.08.2024
    Super Beitrag, eine Kleinigkeit ist nicht ganz korrekt: Es sind ca.80% der geschützten Lebensräume und Arten in keinem günstigen Zustand und nicht 80% der geschützten Gebiete! D.h. diese Lebensräume und Arten kommen auch außerhalb von Schutzgebieten vor und müssen verbessert werden, damit sie uns auch wieder die Ökosystemleistungen für unser tägliches Leben liefern können.
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    • Lisa Wohlgenannt
      03.09.2024
      Danke für den Hinweis. Das wurde beim Vereinfachen des komplexen Themas tatsächlich etwas missverständlich formuliert. Wir haben den Text verändert. LG Lisa