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Demokratie

Von wegen Demokratie: Warum dürfen Millionen Menschen in Österreich nicht wählen?

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Ob du in Österreich politisch mitbestimmen darfst, entscheidet dein Pass. Hast du das „falsche“ Stück Papier, geht es dir wie über 1,5 Millionen Menschen im Land. Sie dürfen bei der kommenden Nationalratswahl kein Kreuzerl setzen. Selbst wenn sie hier geboren und aufgewachsen sind. Warum schließt man sie aus? Wie wird man überhaupt Österreicher:in? Wer darf in Österreich wählen? Wir haben uns die exklusive österreichische Staatsbürgerschaft genauer angeschaut.

Bei der kommenden Wahl Ende September geht es um viel. Jede Stimme für Demokratie und gegen Rechts ist wichtig. Gleichzeitig gibt es heuer 51.000 weniger Wahlberechtigte als bei der Nationalratswahl 2019. Und das, obwohl heute 250.000 mehr Menschen in Österreich leben als noch vor fünf Jahren. Wie kann das sein? Österreich hat eines der strengsten Staatsbürgerschaftsgesetze in Europa. Kaum ein anderes Land verweigert seinen Menschen so lange das Recht, mitzubestimmen. In kaum einem anderen Land ist die Einbürgerungsrate so gering.

Für das Funktionieren eines Landes sind aber alle Menschen entscheidend, die hier leben. Genauso wie ihre Interessen, Ängste, Zukunftswünsche. Politisch ernst genommen wird hierzulande aber nur die Person, die auch auf dem Papier Österreicher:in ist. Der Weg dahin ist hart. So hart, dass inzwischen fast jede fünfte Person von demokratischer Beteiligung ausgeschlossen ist, weil sie den vermeintlich „falschen“ Pass hat. 

Wie kann ich Österreicher:in werden? 

In Österreich wird die Staatsbürgerschaft nach Abstammungsland der Eltern verliehen, nicht nach Geburtsort. Demnach ist man kein:e Österreicher:in, weil man hier geboren oder aufgewachsen ist, sondern weil die Eltern und deren Vorfahren bereits Österreicher:innen waren. Die Folge: Viele in Österreich geborene Kinder erhalten die österreichische Staatsbürgerschaft nicht. Auch dann nicht, wenn ihre Eltern schon lange und legal in Österreich niedergelassen sind. Wer Österreicher:in werden will, muss die Identität der Eltern aufgeben. Doppelstaatsbürgerschaften sind nämlich nicht erlaubt. 

Dazu kommen weitere Voraussetzungen. Zunächst muss man mindestens zehn Jahre – in Ausnahmefällen sechs Jahre – ununterbrochen mit Aufenthaltstitel in Österreich gelebt haben. Ununterbrochen bedeutet zum Beispiel auch: keine Auslandsaufenthalte für Studium oder Beruf oder für ein paar Monate ins Heimatland reisen, um beispielsweise kranke Angehörige zu pflegen. Zusätzlich sind gute Deutschkenntnisse, das Bestehen eines Einbürgerungstests und Unbescholtenheit erforderlich. Die Liste endet mit der Einreichung zahlreicher Unterlagen. Obendrauf braucht es einen gut bezahlten Job.

Wie viel kostet die Staatsbürgerschaft?

Wer einen österreichischen Pass beantragt, muss ein durchschnittliches Mindesteinkommen über 36 Monate aus den letzten sechs Jahren nachweisen können. Mindestsicherung darf in diesem Zeitraum nicht bezogen worden sein. Für eine Einzelperson liegt der Nachweis aktuell bei netto 1.217,96 Euro. Dieser Betrag muss Ende des Monats noch verfügbar sein, nachdem bereits feste Kosten wie Miete, Kredite und andere regelmäßig anfallende Beträge – kurz: alles, was einen Freibetrag von aktuell 359,72 Euro übersteigt – abgezogen wurden. Pro Kind kommen weitere 187,93 Euro netto pro Monat obendrauf. Familien in einem gemeinsamen Haushalt müssen mindestens 1.921,46 Euro nachweisen können, plus zusätzlichen 187,93 Euro pro Kind. 

Laut einer Beispielrechnung des Beratungszentrums für Migrant:innen müsste eine Einzelperson mit regelmäßigen monatlichen Aufwendungen von beispielsweise 750 Euro vor der Antragstellung aktuell etwa 1.610 Euro netto nachweisen. Das gilt wenn 12 Gehälter im Jahr berücksichtigt werden. Der Betrag fällt etwas geringer aus wenn 14 Gehälter berechnet werden. Bei verheirateten Paaren ist der Richtsatz noch höher. Familien mit regelmäßigen Aufwendungen für Miete, Kredite, Unterhaltszahlungen von beispielsweise 1.200 Euro pro Monat müssen im Jahr 2024 vor der Antragstellung etwa 2.770 Euro netto auf dem Konto haben. 

Die Staatsbürgerschaft ist eine Preisfrage 

Dadurch fallen viele Menschen schon einmal durch das Staatsbürgerschafts-Raster: Menschen, die in Teilzeit beschäftigt sind, wer eine zu niedrige Pension hat oder Erwerbslose haben keine Chance auf die Staatsbürgerschaft und Mitbestimmung. Und: In vielen Berufen verdienen die Arbeitnehmer:innen selbst in Vollzeitbeschäftigung nicht genug. 

Und selbst wenn man das Mindesteinkommen tatsächlich nachweisen kann, kommen weitere Kosten für die Antragstellung dazu. Diese Gebühren können je nach Bundesland bis zu 2.000 Euro betragen. Laut Schätzungen von Expert:innen könnten sich aktuell rund ein Drittel der Österreicher:innen die Staatsbürgerschaft selbst nicht leisten beziehungsweise die Anforderungen selbst nicht erfüllen.  

Wer darf in Österreich wählen? 

Keine österreichische Staatsangehörigkeit heißt auch: keine politische Mitbestimmung. EU-Bürger:innen dürfen auf lokaler Ebene, also bei Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen, sowie bei den Wahlen zum Europäischen Parlament mitbestimmen. Bei den nationalen Wahlen können sie aber keine Stimme abgeben. Drittstaatsangehörige, also Menschen ohne EU-Staatsbürgerschaft, sind in Österreich von allen politischen Wahlen ausgeschlossen. 

Die fehlenden Stimmen sind nicht gleich über die österreichische Bevölkerung verteilt. Vor allem Arbeiter:innen werden ausgeschlossen. Sie arbeiten meist in Berufen mit dem niedrigsten Einkommen und schlechtesten Arbeitsbedingungen. In ganz Österreich dürfen rund 70 Prozent der Putzkräfte, 65 Prozent der Pflegekräfte und jeder zweite Mensch in der Gastronomie nicht wählen. Das heißt auch: Das bisherige Wahlrecht schwächt die Interessen aller Menschen mit geringem Einkommen in diesem Land. Zu einem großen Teil arbeiten in diesen Berufen Frauen. 

Was heißt das für unsere Demokratie?

Millionen Menschen, die in das österreichische System einzahlen und am Laufen halten werden bisher bewusst ignoriert. Wenn viele nicht mitreden dürfen, werden eher Regierungen gewählt, die die Interessen der einflussreichen, meist reichen Menschen stärken. Die Probleme der einkommensschwachen Gruppen haben weniger Gewicht, werden ignoriert oder sogar verstärkt. Das führt auch bei ärmeren Staatsbürger:innen zu Frust und zu einem Teufelskreis, in dem sie öfter auf ihr Stimmrecht verzichten. Unter dem Ausschluss großer Teile der Bevölkerung leiden also nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch deren Kolleg:innen und andere Menschen mit niedrigem Einkommen. Das Ausschließen von Menschen schwächt unser System und schadet fast allen in Österreich. Demokratien funktionieren nur, wenn alle mitreden dürfen. 

Ein Mensch, eine Stimme – das stimmt in Österreich nicht mehr. Ändert sich daran nichts, darf  2064 ein Drittel der Bevölkerung nicht wählen. In Wien wären schon davor die Hälfte der Menschen, die hier leben, nicht mehr wahlberechtigt. Wieso sind die Regeln bei der Einbürgerung in Österreich noch immer so streng? Wie könnten sie gerechter werden? Wie würde Österreich aussehen, wenn alle, die hier leben, mitreden könnten? Das haben wir Menschen gefragt, die untersuchen, was dieser Ausschluss für sehr viele Menschen im Land bedeutet. Wir haben mit denen gesprochen, die gerne wählen würden, aber nicht können. Und wir haben Menschen getroffen, die sich für eine faire Wahlbeteiligung einsetzen und helfen, den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern. 

Alle Antworten siehst du in der neuen Doku auf YouTube.  

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Man sieht durchs Fenster zu, wie andere mitbestimmen.
Wie Reiche sich die Staatsbürgerschaft kaufen. 

Du möchtest die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen? Hier findest du einen Überblick über Beratungsstellen in allen Bundesländern.

Eine Hand hält eine Discokugel, die glitzert. Im Text: Momentum wird 5! 10. Oktober 2024, 18:00 Uhr

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • frizzdog
    05.09.2024
    erfüllen denn alle "echten" österreicher all diese staatsbürgerschaftsbedingungen? viele unserer "festungsbürger" müssten sofort ihren pass abgeben!
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