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Demokratie

Was wir aus den ostdeutschen Wahlen lernen können – und was nicht

Was wir aus den ostdeutschen Wahlen lernen können – und was nicht
Die AfD macht in Thüringen 32,8% und ist klar stärkst Kraft, in Sachsen sind es 30,6% und der knappe zweite Platz. In der Nähe oder knapp vorne ist in beiden Fällen die CDU - alle anderen sind nur noch unter ferner liefen. Was verrät uns dieses Ergebnis? Natascha Strobl analysiert.

#1 Rechte Diskurse helfen rechten Parteien. Rechtsextreme Diskurse helfen rechtsextremen Parteien.

Die Themenlage Sicherheit, Asyl und Gewalt bestimmte die Wahlkämpfe. Fast alle Parteien überboten sich in verbalradikalen Ansagen. Konkrete und sachbezogene Lösungen für Schieflagen abseits rechter Rhetorik hatte niemand zu bieten. Wir kennen dieses Phänomen von zahlreichen anderen Wahlkämpfen. Man glaubt, indem man Beschäftigung vorschützt und rhetorisch nach springt, dass man die rechtsextreme Partei einholt.

Das Gegenteil ist der Fall. Man erzeugt den Eindruck, die hatten eigentlich schon die ganze Zeit recht. Dabei gibt es ein ganzes, unbearbeitetes Feld an Themen jenseits von Kulturkämpfen – und konkrete Lösungen abseits rechtsextremer Autoritarismus Fantasien. Dazu müsste man sich mit den Ursachen von Gewalt auseinandersetzen. Ja auch ganz konkret jener von migrantischer, junger Männer, aber eben etwa auch von in Trennung lebender Männer. Es gibt leider genügend Gruppen.

Der Schluss “die sind halt so” ist Selbstaufgabe. Es ist Aufgabe von Politik, Bedingungen so zu gestalten, dass Gewalt nach Möglichkeit verhindert oder frühzeitig entdeckt und geahndet wird. Diesen Schritt will aber niemand gehen, denn es würde verlangen, dass man nachdenkt, Daten erhebt und dann ein Bündel an Maßnahmen schnürt, die präventiv wirken. Es würde Schulen, das Sozialsystem, Familienpolitik, Frauenpolitik, Integrationspolitik, Kommunalpolitik und zig weitere Politikfelder betreffen. Und man könnte möglichst viele Seiten ausleuchten, um keine blinden Flecken zu haben. Das ist aber mühsamer, als nach der Gewalttat eine harte Sanktionierung als einzige Lösung zu präsentieren.

Lehre 1: Im Angesicht des rechten Kulturkampfs konkrete Politik nicht aufgeben – auch wenn es kompliziert und umstritten ist oder den Finger in gesellschaftliche Wunden legt. Es kommt darauf an, wie und ob man am gesellschaftlichen Ausgleich interessiert ist oder nicht.

#2 Rechtsextreme Parteien müssen nicht mehr moderat wirken, um gewählt zu werden

Lange glaubte man, der Weg der Selbstverharmlosung ist der einzige Schlüssel zu rechtsextremen Wahlerfolgen. Die FPÖ hat das bei ihrer ersten Regierungsbeteiligung nach ihrem internen Rechtsrutsch genau so versucht. ÖVP-Bundeskanzler Schüssel meinte, die FPÖ werde durch eine Regierungsbeteiligung gezähmt und entzaubert. Das hat nicht funktioniert.

Bei der nächsten Regierungsbeteiligung unter Sebastian Kurz ging die ÖVP schon selbst den Weg der Radikalisierung nach rechts, während sich die FPÖ unter Heinz-Christian Strache noch um Moderation bemühte. Am Ende bildeten zwei beinahe ununterscheidbare Parteien eine Regierung.

Die FPÖ ist dadurch selbstverständlich nicht wirklich moderater geworden. Der Innenminister dieser Koalition hieß Herbert Kickl. Dasselbe gilt für die Wahlen in den Bundesländern, wo man sich den rechtsextremsten Flügel unter Marlene Svazek und Udo Landbauer als umgänglich und moderat schön fantasiert.

Der Unterschied ist, dass diese selbst es nie behauptet haben. Sie sind genauso so extrem rechts, wie sie sich selbst zeigen. Sie haben verstanden, dass sie gewählt werden und in die Regierung kommen, ob sie Moderation heucheln oder nicht. Die ÖVP macht die FPÖ nach der Wahl immer irgendwie schön und koaliert. In den ostdeutschen Bundesländern sehen wir ein ähnliches Phänomen: die AfD gibt sich nicht moderat, sondern bildet den extrem rechten Flügel einer ohnehin schon rechtsextremen Partei. Es wäre nicht überraschend, wenn sie mit dieser Strategie auch zu ihrer ersten Regierungsbeteiligung kommen.

Lehre zwei: Es gibt keinen moderaten Rechtsextremismus, die Parteien werden in all ihrem Extremismus gewählt und kommen so auch zu Regierungsbeteiligungen.

#3 Die Wählerschaft der extremen Rechten wird vielfältiger

Jung, männlich, formal wenig gebildet, mittleres Einkommen – das war lange Zeit die Formel für rechtsextreme Wahlerfolge. Von “Abgehängten” zu sprechen, greift hier viel zu kurz. Die Klientel hat gar nicht das aller unterste Einkommen – aber Angst abzurutschen. Diese Formel gilt nach wie vor, aber man darf zusätzliche Gruppen nicht übersehen, die sich erst kürzlich Richtung rechtsextremer Wahlpartei aufgemacht haben.

Wie bei anderen Wahlen gibt es hier Bewegungen bei Frauen, vor allem auch im mittleren Alter. Das korreliert mit der Angabe, dass Sicherheit und Kriminalität das wichtigste Wahlmotiv waren. Die AFD ventiliert hier Zerrbilder und ergießt irreale Ängste und Phantasmen, die die Angst vor den fiktiven Zuständen der Großstädte in kleine Gemeinden und Dörfer bringen.

Unabhängig davon ist es ein Versagen der anderen Parteien, die Bedeutung von Sicherheit in einer Zeit der permanenten Unsicherheit nicht zu verstehen und das Thema in all seiner vielfältigen Bedeutung nicht demokratisch zu besetzen. Wenn der Eindruck übrig bleibt, dass sich nur eine einzelne rechtsextreme Partei um Sicherheit kümmert, und alle anderen ihr eigentlich nur noch beipflichten, dann verliert die Demokratie und bisher ungeahnte Wählerreservoirs werden angezapft.

Lehre 3: Rechtsextreme Parteien können weit über ihr Stammklientel wirken, wenn andere Parteien das zulassen oder ihr sogar dabei helfen.

#4 Nicht bei Null beginnen

Es ist ermüdend, wie nach jedem Wahlerfolg einer rechtsextremen Partei das Rad neu erfunden wird. Schon tauchen die ersten Stimmen auf, die meinen, man könnte die AfD durch Einbindung zähmen. Schon redet man sich die Partei schön. Das macht man, um die eigene Ratlosigkeit zu überspielen und einen Zug zur Macht zu erhalten. Alle Länder rund um Deutschland haben das zigfach durch. Man sollte auf die Erfahrungswerte dieser Länder zugreifen, nicht zuletzt Österreich.

Rechtsextreme an der Regierungsmacht bedeutet viel zerstörerische Arbeit an Staat, Gesellschaft, Demokratie, Rechtssystem und Sozialsystem. Dringende und drängende Maßnahmen bei Klima, Verkehr, Bildung und Infrastruktur bleiben auf der Strecke. Man kann das nicht mal ein paar Jahre ausprobieren. Es ist kein Spiel. Es gibt keine Abkürzung zum Erhalt der Demokratie.

Lehre 4: Von anderen Ländern lernen und nicht glauben, dass man zum ersten Mal jemals vor dieser Situation steht. 

#5 Es ist eben nicht ganz Deutschland

Bei aller Ernsthaftigkeit, die das Thema verlangt, muss man trotzdem aufpassen, nicht fatalistisch oder panisch zu werden. Das Thema ist viel zu ernst und braucht gerade deswegen eine nüchterne Betrachtung. Dazu gehört auch die Feststellung, dass es eben keine deutschlandweiten Wahlen waren.

Und auch in Ostdeutschland hat die AfD eben keine absoluten Mehrheiten. Es gibt überall genügend Leute, die sich mutig entgegenstellen und die statt unseres Fatalismus Solidarität bekommen sollten. Es ist eben nicht alles verloren, die Zukunft wird nach wie vor noch ausgerungen. Alle demokratischen Kräfte sind gefragt, sich an diesem Ringen zu beteiligen und sich zu überlegen, wo und wen sie als Gegner ausmachen. 

Lehre 5: Mehrheiten sind demokratisch veränderbar.

 

Eine Hand hält eine Discokugel, die glitzert. Im Text: Momentum wird 5! 10. Oktober 2024, 18:00 Uhr

Momentum wird 5! Und das feiern wir. Sei dabei am 10. Oktober 2024.

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  • frizzdog
    04.09.2024
    ->gegen die normalisierung des faschismus! ->gegen die wiederholung der geschichte!
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