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Warum ein Sparpaket nicht der Weisheit letzter Schluss ist

Warum ein Sparpaket nicht der Weisheit letzter Schluss ist
Warum der falsche Zeitpunkt für ein straffes Sparpaket ist, argumentiert Chefökonom des Momentum Instituts Oliver Picek im Gastkommentar. Foto: Mikhail Nilov, Pexels
Alle rufen nach einem Sparpaket. Nur Bundeskanzler Karl Nehammer sagt wir brauchen keines. Damit hat er Recht, sagt Chefökonom des Momentum Instituts Oliver Picek im Gastkommentar.

Die Regierung hat die Staatsfinanzen nicht im Griff. Der Staat solle sparen. Die Liste der Expert:innen und Politiker:innen, die sich nach der Wahl Sparpakete wünschen, wird immer länger: Der Fiskalrat, die regierungsnahen Wirtschaftsforschungsinstitute WIFO und IHS, der industrienahe Think Tank Eco Austria sowie die Denkfabrik der Millionäre Agenda Austria. Die Neos-Chefin kann es gar nicht erwarten, bei den Ausgaben hineinzufahren. Selbst Oppositionsführer Andreas Babler sieht ein Sparpaket als unausweichlich an, will aber zumindest Kinder, Pensionen und Gesundheit davon ausnehmen.

Drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung beträgt das Minus im Staatshaushalt. Das ist deutlich weniger als in den Jahren zuvor, als die Regierung mit dem Auftakt zum ersten Lockdown mit dem Sager „koste es, was es wolle“ die Tore der staatlichen Schatzkammer für eine Plünderung geöffnet hat. Nach notwendigen Hilfsmaßnahmen gegen Corona und die Inflation bedienten sich allerlei Unternehmenslobbys freihändig am Geld der Steuerzahler:innen.

Vorschrift ist Vorschrift

Was steckt also hinter dem plötzlichen Läuten der Alarmglocke? Die Vorschrift. Die Europäische Union hatte während Corona ihre Defizit- und Schuldenregeln für Staatsbudgets ausgesetzt. Ab heuer gelten sie wieder. Drei Prozent dürfen es sein, mehr aber nicht. Die Bundesregierung, allen voran Finanzminister Brunner, hat diese Grenze missachtet. Er selbst verabschiedet sich nach Brüssel, wird EU-Kommissar. Für das eigene Versagen wird er von dort seinen Nachfolger hierzulande rügen. Wunderlich.

Um den Laden zusammenzuhalten, rückte Bundeskanzler Nehammer persönlich aus. Er stellte klar: Es brauche kein Sparpaket. Das Problem lasse sich mit Wirtschaftswachstum lösen. Nun ist zwar richtig, dass mit mehr Wirtschaftswachstum tatsächlich das Defizit quasi automatisch sinkt – die Steuern sprudeln, Ausgaben für Arbeitslosigkeit gehen zurück. Wie er dorthin kommen will, erklärt er aber nicht schlüssig. Er möchte die Steuern senken, doch dadurch wird weder das Wachstum zurückkommen noch das Budget aufgeräumt. Das funktioniert ökonomisch nicht.

Auch im Vereinigten Königreich wollten zuletzt konservative Politiker:innen die Wirtschaft wieder einmal „entfesseln“. Kurzzeit-Premierminister Liz Truss plante massive Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung. Das ging den Anleihegläubigern zu weit. Der Finanzmarkt spekulierte gegen die britische Währung. Es endete mit ihrem Rücktritt.

Nehammer hat Recht: Ein Sparpaket braucht es jetzt nicht

Ökonom:innen und Journalist:innen attestierten dem Kanzler prompt, realitätsfremd zu sein. Es müsse mit dem Wahlkampf zu tun haben. Doch auch wenn Nehammer einem Luftschloss anhängt mit seinen Steuersenkungsfantasien. In der großen Linie – es braucht kein Sparpaket – hat er Recht. Ein Sparpaket zum jetzigen Zeitpunkt würde der Wirtschaft einen gewaltigen Schaden zufügen. 

Es läuft alles andere als rund in Österreichs Fabriken, Läden und Büros. Die Wirtschaft stagniert. Die Industrie leidet, der Hochbau steht. Die Zahl der Firmenkonkurse steigt. Die Arbeitslosen werden mehr. Der AMS-Chef wundert sich, wo der vorhergesagte Aufschwung bleibt. Die Prognose-Institute schämen sich, weil sie schon wieder ihre Vorhersagen nach unten korrigieren.

Fährt die Politik genau jetzt mit dem Rotstift ins Staatsbudget, droht eine Rezession, ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung. Denn der Staat ist der größte Akteur, der finanziell gewichtigste Spieler im Wirtschaftsspiel. Setzt er auf einen Sparkurs, kann das böse enden. 

In den 1930ern verschlimmerte eine besonders radikale „Sparkur“ die Arbeitslosigkeit so sehr, dass verzweifelte Menschen anschließend die Nationalsozialisten wählten. Der zweite Versuch in Südeuropa vor gut einem Jahrzehnt ging zwar politisch besser aus, aber wirtschaftlich nicht: In Griechenland wurde ein Viertel der Arbeiter:innen und Angestellten arbeitslos. Doch selbst wenn die Sparanstrengung nicht so brutal endet, löst sie meistens keine Probleme. Im Durchschnitt sinkt die Staatsschuldenquote nicht, wenn ein Staat Sparanstrengungen unternimmt. Wie kommt’s?

Der berühmteste Ökonom des 20. Jahrhunderts, John Maynard Keynes, lieferte die passende Erklärung für unerwünschte Nebenwirkungen der Sparpolitik. Er bezeichnete es als „Paradox des Sparens“: Wenn einer von vielen Menschen weniger ausgibt, fügt das der Wirtschaft kaum Schaden zu. Der Versuch, einzusparen, gelingt, wenn man es alleine tut. Wenn alle anderen gleichzeitig auch ihre Ausgaben kürzen, um Geld zu sparen, dann ist die Wirtschaft tot. Dann verdienen die Unternehmen nichts mehr. Sie entlassen ihre Mitarbeiter:innen. Die Sparer:innen geben nun zwar weniger aus, aber ohne Job fehlt ihnen das Einkommen, womit sie schlechter als vorher dastehen. Der „Sparversuch“ ist gescheitert.

Sparpakete klappen ohne Wachstum nicht

Die Hälfte der Sparanstrengungen ist historisch gescheitert. Alle hatten zum Ziel, die Staatsschulden zu senken, doch in rund der Hälfte der Fälle gelang das nicht. Die staatlichen Kredite stiegen oder blieben gleich, weil die Wirtschaft zu sehr einbrach. 

Es macht daher Sinn, zu warten, bis ein sich selbst tragender Aufschwung einsetzt. Sobald die Europäische Zentralbank die Zinsen stark senkt, könnte das passieren. Noch besser: Den Aufschwung mit Konjunkturpaketen selbst auslösen. Der Staat schiebt an, damit die Privatwirtschaft wieder ins Rollen kommt. Dann gelingt auch das Sparpaket besser. Sparen Staaten in guten Zeiten, dann gelingen historisch immerhin drei Viertel der Sparpakete. Wer dagegen in schlechten Zeiten spart, schneidet sich ins eigene Fleisch.

Genau den Versuch, alle gleichzeitig trotz schwacher Wirtschaft sparen zu lassen, probiert die Europäische Union jetzt ein weiteres Mal aus. Passiert nichts unerwartet Positives, wird sie damit wieder auf die Schnauze fallen. Wie soll sich Österreichs künftige Regierung da verhalten? 

Der nächste Finanzminister steht vor einer Zerreißprobe. Gegen den Strom zu schwimmen ist immer schwer. Soll er oder sie mit allen anderen gemeinsam von der Brücke springen, oder doch alleine oben stehen bleiben? Es wird wohl der Sprung. Österreich wagt sich selten aus seinem Korsett innerhalb der EU. Geht es so aus wie letztes Mal (2011-2017), folgen sieben magere Jahre mit stark steigender Arbeitslosigkeit. Hoffen wir, dass uns zumindest das erspart bleibt.

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