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Fortschritt
Demokratie

Sozialhilfe und „trans“ Boxerin: Der rechte Empörungszug nimmt alle mit

Sozialhilfe und „trans“ Boxerin: Der rechte Empörungszug nimmt alle mit
Wir könnten einen Moment nachdenken, bevor wir auf den rechten Empörungszug aufspringen.
Der Schweiß tropft von hochroten Schädeln auf die Handydisplays. Ausnahmsweise nicht wegen der Hitze, sondern aus Wut. Wenn man still ist, kann man das “Ja, darf denn das sein?!”-Gemurmel allerorts hören. Die Aufregung ist zurück auf sozialen Medien und in öffentlichen Diskussionen. Und die selbsternannte Mitte lässt sich wieder vor den rechten Zug spannen.

SKANDAL! Eine Großfamilie mit sieben Kindern bekommt 4.600 Euro Mindestsicherung. Das hätten wir ja noch akzeptiert, schließlich freuen wir uns über hohe Geburtenraten. Aber es kommt noch schlimmer: Die Familie ist nicht aus Österreich.

Die FPÖ schickt Aussendungen raus, ruft Pressekonferenzen ein. Spielt Ping-Pong mit dem Boulevard, der sich über die Aufmerksamkeit freut. Journalistische Integrität und Verantwortung? Die wurden längst von der Gier nach Klickzahlen erschlagen.

Die bürgerliche Mitte und auch Menschen, die sich als links verstehen, machen in sozialen Medien fröhlich mit. Sogenannte Meinungsführer sind empört, wie so etwas möglich sein kann. Kann denn nicht einmal wer an UNSERE Kinder denken?! Und lassen sich so als Handlanger in einem Spiel benutzen, das wir seit Jahrzehnten regelmäßig wiederholen.

Manche Dinge ändern sich in Österreich dann doch nicht. Auch irgendwie beruhigend.

Geht es anderen schlechter, geht es mir besser

Man könnte natürlich auch kurz innehalten. Und überlegen: Wo liegt eigentlich die Armutsschwelle für Familien mit sieben Kindern? (Bei 6.603 Euro, wie die Volkshilfe aufzeigt.) Leben diese Menschen wirklich in Saus und Braus? (Überraschenderweise nicht, wie das Profil hier beschreibt.) Wie viele solcher extremen Fälle gibt es eigentlich – und arbeiten die alle nix? (in Wien gibt es 120 Familien mit sieben Kindern, die Mindestsicherung beziehen. In 110 wird einer Arbeit nachgegangen.)

Wenn man sich diese Gedanken gemacht hat, könnte man auch weitere Fragen stellen. Warum so viele Menschen Mindestsicherung beziehen, obwohl sie arbeiten. Warum man über vermeintliche Lösungen von Politiker:innen bei Sozialleistungen berichtet, obwohl diese schonmal vom VfGH aufgehoben wurden. Warum wir uns nicht darüber aufregen, dass ein Vermieter mit einem Einkommensnachweis zu einem Boulevardmedium läuft. Oder: Warum man immer wieder dieselben oberflächlichen Neiddebatten bedient, ohne vorher darüber nachzudenken.

Denn was bleibt? Die Ausländer nehmen unseren Menschen das Geld weg. Weil, in Österreich geht es uns besser, wenn andere weniger kriegen. ÖVP-Ministerin Susanne Raab lässt uns in der Zwischenzeit wissen, dass Wien für illegale Migration verantwortlich sei. Man kann live dabei zusehen, wie die FPÖ in Wahlumfragen zulegt.

SKANDAL! Ein biologischer Mann darf bei Olympia ausgerechnet beim Frauenboxen antreten. Er gewinnt in unter einer Minute, die Nase der Geschlagenen gebrochen, ihre Träume geplatzt.

Und der Mob tobt. Da sehe man, wo uns woke Ideologien hinbringen. Frauensport sei in Gefahr, warnen Menschen, die sich noch nie für Frauensport interessiert haben. Die Aufregung reicht bis zu Donald Trump. Der Präsidentschaftskandidat verspricht, Frauensport zu schützen. Peak Feminismus.

Die Abneigung von trans Menschen ist aktuell einer der wirkmächtigsten Kulturkämpfe. Er vereint Rechtsextreme, Liberale und selbsternannte radikale Feminist:innen. Und hilft vor allem Menschen, die Minderheitenrechte einschränken und bestimmen wollen, wer eigentlich eine Frau ist. Spoiler: Frauen werden von dieser Diskussion wohl nicht profitieren. Stichwort “Kinderlose Cat Lady”.

Dass all das auf Falschinformationen beruht, dringt kaum noch durch. Die algerische Amateur-Boxerin Imane Khelif ist weder Mann noch trans Frau. Sie wurde bei der Weltmeisterschaft 2023 disqualifiziert, angeblich wegen zu hoher Testosteronwerte. Der Internationale Boxverband sprach jetzt von einem “vertraulichen” Test, der zu der Entscheidung geführt hatte. Der wurde vom Präsidenten des Verbands angeordnet, der als enger Vertrauter von Wladimir Putin gilt, der einzige Sponsor des Verbands ist Gazprom. Das Internationale Olympische Komitee kritisierte, dass kein ordnungsgemäßes Verfahren stattgefunden habe.

Falschinformation löschen? Warum sollten sie.

Reue gab es deswegen keine. Die würde man zumindest von Menschen erwarten, die sich als Feminist:innen verstehen. Selbst, wenn es keine Falschinformation gewesen wäre, hätten sie sich aber fragen können: Warum man sich bei Menschen mit massiven körperlichen Vorteilen wie dem Schwimmer Michael Phelps nie Gedanken über “genetische Überlegenheit” macht. Warum solche Vorwürfe vor allem Frauen treffen, die nicht Weiß sind. Warum man sich in solchen Diskussionen immer wieder mit Männern gemein macht, die Frauenrechte einschränken wollen.

Auch hier bleibt die Empörung über. Eine trans Frau, die Gefahr für den Sport ist. Frauensport, der von woker Ideologie bedroht wird. Die “gemäßigte Mitte” lässt sich vor den rechten Karren spannen. Die FPÖ hat bereits eine Aussendung dazu versendet, in der sie wiedermal vom “Transgender-Kult” spricht.

Wo die Aufregung hinführt

Im englischen Southport wurden drei Mädchen erstochen. So schnell konnte man gar nicht schauen, wurde die Tat schon instrumentalisiert. Rechtsextreme sammelten sich, demolierten eine Moschee, zündeten ein Polizeiauto an und verletzten über 50 Polizist:innen. Denn: Der Täter war ein geflüchteter Moslem.

Dachten sie zumindest. Der Täter ist aber ein in England geborener Christ. Zu viele Menschen sprangen auf die Falschinformationen an, die in sozialen Medien verbreitet wurden. Einige ließen sich auch von einer Richtigstellung nicht abbringen.

Vielleicht wäre es an der Zeit, nachzudenken, bevor man sich von rechter Hetze in blinde Aufregung versetzen und instrumentalisieren lässt. Aber bis zum nächsten “Skandal” verhallt der Aufruf wohl leider wieder.

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    Kommentare 2 Kommentare
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  • frizzuzdog
    05.08.2024
    ich sehe da en ganz anderes problem: der "gebärzwang" von betroffenen frauen bedarf dringendster aufklärung. ich wohne im gemeindebau, eine familie kam mit 2 kindern,, jetzt haben sie schon 7. der mann wird im leben nicht daran denken, auch einmal arbeiten zu gehen, weil sein "leistungsbeweis" ist seine arme frau. jedes jahr ein neues kind.... für leute, die ein soziallSYSTEM nicht "gesellschaftsorientiert" durchschauen, gehen einfach den "bauernschlauen shortcut". keine frage, dass diese familie auf jahrzehnte hinaus die gesamte gesellschaft belasten wird.
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    • frizzdog
      06.08.2024
      ....und zunächst sich selbst natürlich in erster line!