Schulfach Finanzbildung: Wirklich so eine gute Idee?
Jetzt soll also ein neues Schulfach kommen: „Wirtschaft, Innovation und Nachhaltigkeit“ – mit fettem Schwerpunkt auf Finanzbildung. „WIN!“ Das klingt modern und positiv, oder? Endlich lernen die Kids, wie man mit Geld umgeht, Schulden vermeidet, fürs Alter vorsorgt… Besser noch: Mit Finanzbildung sorgen wir, dass alle reich werden. Andreas Treichl, der ehemalige Erste Bank Chef weiß: Es ist die fehlende Finanzbildung, die dazu führt dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht.
“Die mangelnde Finanz- und Wirtschaftsbildung in Österreich leistet einen ordentlichen Beitrag dazu, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht.”
Die Armen sind einfach zu blöd zum reich werden.
Na denen müssen wir dringen helfen! Wer könnte da was dagegen haben?
Schauen wir mal genauer hin. Worum geht’s da eigentlich wirklich, wer treibt das voran und warum? Und ist Finanzbildung als Allheilmittel vielleicht ein gewaltiger Irrtum?
1. Wer drängt auf mehr Finanzbildung – und warum?
Zuerst die Frage: Wer will dieses neue Finanzbildungs-Schulfach eigentlich unbedingt? Die Idee kommt ja nicht aus dem Nichts. Seit Jahren fordern bestimmte Gruppen lautstark „mehr Wirtschafts- und Finanzbildung“ an Schulen. Ganz vorne dabei: Wirtschaftslobbys, Finanzkonzerne und Stiftungen von Banken.
In Österreich hat z.B. die Industriellenvereinigung mit anderen die „Stiftung Wirtschaftsbildung“ eingerichtet – 2022 startete sie mit 60 Pilotschulen ein eigenes Wirtschaftsbildungsprogramm. Das Ziel dahinter?
Offiziell: Junge Menschen „fit machen“ fürs Wirtschaftsleben.
Inoffiziell: Natürlich auch die eigenen Interessen verankern.
Man stelle sich vor, Banken und Versicherungen bekommen Einfluss darauf, was in Finanzbildung unterrichtet wird. Machen die das aus reiner Nächstenliebe? Oder doch, weil sie sich neue Kundschaft erhoffen? Die Versicherungsindustrie hat ein handfestes Interesse, dass wir alle brav privat fürs Alter sparen und ihre Produkte kaufen – denn da verdienen sie daran.
Und tatsächlich hört man genau das von politischen Unterstützern: Der damalige Finanzminister Gernot Blümel sagte ja bereits: “Finanzbildung ist die beste Altersvorsorge.” In Deutschland sagte der Ex-Finanzminister Christian Lindner (von der neoliberalen Neos-Schwesterpartei FDP) klipp und klar, junge Leute müssen privat in Aktien vorsorgen, damit sie im Alter nicht arm sind. Übersetzung: Der Staat zieht sich zurück („kümmert euch selbst“) – und die Finanzbranche reibt sich die Hände.
Auch in Österreich sind es vor allem wirtschaftsnahe Politiker:innen und Verbände, die das Fach pushen. Die Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung, das Aktionsforum Aktienmarkt – sie alle trommeln: “Unsere Jugend braucht dringend mehr Finanzbildung”
Warum wohl? Weil sie sich mündige Konsument:innen wünschen, wie sie sagen. Aber vor allem viele neue Anleger:innen und Aktionär:innen. So moniert der NEOS-Kapitalmarktsprecher Christoph Pramhofer: “Es herrscht bei vielen Menschen im Land noch Skepsis gegenüber den Kapitalmärkten. Hier müssen wir mit Vorurteilen aufräumen. (…)” Aber Hoffnung naht: “Gerade Jugendliche zeigen sich gegenüber modernen Finanzinstrumenten sehr aufgeschlossen.”
Was liegt näher, als zukünftige Kundinnen und Kunden schon in jungen Jahren an die schönen Produkte der Finanzwelt heranzuführen? Wenn Sparkassen in Schulen das Sparbuch erklären und Versicherungsvertreter über private Altersvorsorge auf Instagram referieren, dann dient das natürlich auch dazu, Vertrauen aufzubauen und die Marke früh positiv im Gedächtnis zu verankern. Früh übt sich, wer später ein treuer Kunde werden will.
Natürlich ist es sinnvoll, etwas über Geld, Wirtschaft und Innovation zu lernen. Aber die Frage ist: Wer definiert, was gelehrt wird? Und weshalb gerade jetzt dieses neue Fach kommt.
2. Wenn die Wirtschaft im Klassenzimmer mitredet…
Was ist also das Problem, wenn finanzstarke Akteur:innen den Unterricht mitgestalten? Nun, wir riskieren eine massive Schieflage im Lehrstoff.
Stellen wir uns vor, ein großer Bankenkonzern sponsort Unterrichtsmaterial. Wird dort wohl kritisch stehen, wie Banken an Überziehungszinsen oder riskanten Krediten verdienen? Oder eher “Wie mache ich einen Bausparvertrag bei Bank XY”? Die Unabhängigkeit geht flöten.
Bereits jetzt gibt es zahllose “kostenlose” Broschüren und Online-Portale von Banken für Schulen – natürlich immer mit dem Logo drauf und bestimmten Botschaften. Zahlreiche Expert:innen und Organisationen warnen genau davor: Die private Finanzindustrie gestaltet staatliche Bildungsstrategien mit. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Dieselben Banken, die mit Konsumkrediten und horrenden Überziehungszinsen verdienen, erklären in der Schule dann „neutral“, wie man mit Geld umgeht.
Kritische Themen wie z.B. die Bankenkrise, Falschberatungen, Überschuldung kommen da womöglich zu kurz. Lobbys im Klassenzimmer gefährden die Objektivität. Wenn Versicherungen erklären dürfen, warum private Altersvorsorge das beste überhaupt ist, oder die Aktien-Lobby Aktienkauf als Bürgerpflicht darstellt, wird aus Bildung schnell Werbung. Die Folge ist eine gefährliche Einseitigkeit.
3. Gefährliche Einseitigkeit: Die Ideologie der Eigenverantwortung
Die vielleicht größte Falle dabei ist die Botschaft zwischen den Zeilen: Wenn du arm bist oder Schulden hast, bist du selbst schuld. Das Mantra der Eigenverantwortung tropft aus jedem zweiten Argument der Finanzbildung-Fans. Soziale und ökonomische Risiken werden individualisiert – auf dem Rücken jener, die weniger Geld haben.
Frei nach dem Motto: “Jeder kann’s doch schaffen, reich zu werden, wenn er nur will und sich finanziell bildet. Wer es nicht schafft – tja, Pech, selber schuld!”
Das blendet die strukturellen Ursachen von Armut und Verschuldung komplett aus. Niedrige Löhne, Arbeitslosigkeit, teure Mieten, krankmachende Arbeitsbedingungen – all das fällt unter den Tisch. Stattdessen sollen wir glauben, Altersarmut ließe sich durch ein paar Finanzkurse abschaffen, anstatt durch anständige Pensionen und Löhne.
Diese Einseitigkeit ist gefährlich: Sie schiebt die Verantwortung für gesellschaftliche Probleme den einzelnen Leuten zu. Und praktischerweise entlastet das jene, die politisch zuständig wären, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sich etwas ändert. Arbeitslos? Hättest halt besser Budgetplanung in der Schule gelernt! Mini-Pension? Selber schuld, warum hast du nicht mit 20 in ETFs investiert!
Die Kehrseite der “Eigenverantwortungs-Ideologie”: Wenn jeder ganz allein verantwortlich ist, braucht es keine staatlichen Strukturen mehr. Weniger Sozialstaat, mehr privater Druck.
Ein Nebeneffekt dieser Agenda: Wir erzeugen Scham und Schuldgefühle bei den Betroffenen. Wer trotz gelerntem “Finanzwissen” scheitert, fühlt sich noch schlechter – während Politik und Konzerne bequem sagen können: Wir haben euch doch aufgeklärt, mehr können wir nicht tun.
In den USA lässt sich dies gut beobachten. Dort haben zwischen 1998 und 2022 fast alle Bundesstaaten Finanzbildung in die Schullehrpläne aufgenommen; viele schreiben einen Finanzkurs für den Highschool-Abschluss vor. Politiker:innen beider Parteien unterstützen das überparteilich – denn es klingt positiv und unstrittig. Gleichzeitig aber wird die Regulierung des Finanzsektors ausgedünnt und der Sozialstaat zurückgefahren. Finanzbildung schafft so die Illusion von Handlung: Wir tun ja was (Unterricht!), also brauchen wir zum Beispiel keine strengeren Verbraucherschutzgesetze mehr. Die renommierte Juristin Lauren Willis bezeichnete Finanzbildung deshalb als „illusionäre Regulation„, die echte Eingriffe ersetzt.
Unterm Strich führt diese Einseitigkeit zu einem verengten Fokus: Alle reden nur noch über das Verhalten der Einzelnen – und keiner mehr über die Verantwortung der Politik oder der Unternehmen. Das ist bequem für jene „finanzstarken Lobbys“, die so laut nach Finanzbildung rufen. Denn wenn und lange genug eingeredet wird, mit genug Bildung ließen sich Ungleichheit und Armut schon beseitigen, dann bleibt die Forderung nach strengeren Regeln oder Umverteilung aus.
Selbst der beste Finanzkurs kann fehlendes Einkommen oder hohe Lebenskosten nicht ausgleichen. Und genau deshalb kann man Armut und Überschuldung nicht einfach „wegbilden“.
Schulfach Finanzbildung kann große Probleme nicht ausradieren
Armut, Altersarmut, Überschuldung – das sind reale, strukturelle Probleme. Zu glauben, man könnte sie durch ein Schulfach beseitigen, ist naiv. Denn damit ignoriert man, warum Menschen arm oder überschuldet sind. Spoiler: Nicht weil sie die Zinsrechnung nicht kapiert haben.
Warum scheitern Menschen finanziell? In den allermeisten Fällen: Weil sie von Anfang an zu wenig Geld hatten. Der Schuldenreport 2025 zeigt:
Der häufigste Grund für Überschuldung ist nicht ein „mangelhafter Umgang mit Geld“, sondern schlicht Arbeitslosigkeit oder Einkommensverlust. Wer wenig verdient, kann schlecht vorsorgen. Wer ohnehin unter dem Existenzminimum lebt – über 36 Prozent der Klient:innen der Schuldenberatung betrifft das –, hat schlicht keinen Spielraum.
Was die Schuldnerberatungen dieses Landes ebenfalls wissen: Der Großteil der Schulden sind die Kosten der Schulden selbst. Sie sagen:
“Das System des Schuldeneintreibens mit Zinsen und Kosten verursacht einen hohen, in den meisten Fällen sogar den überwiegenden Teil der Schulden von überschuldeten Personen, Durch den Effekt von Zins, Zinseszins, Verzugszins sowie Inkassogebühren und Gerichtskosten stiegen ehemals bewältigbare Schulden in Höhen, die mit dem ursprünglich geliehenen Betrag kaum mehr etwas zu tun haben.”
Es ist hierzulande völlig legal, dass in wenigen Jahren aus 1.500 Euro Schulden schließlich 45.000 Euro Schulden werden. Eine einfache Lösung dafür wäre, die Verrechnung von Zinsen und Kosten zu deckeln. Die Schuldnerberatung fordert, dass sich Schulden inklusive aller Kosten und Zinsen ab Fälligstellung maximal verdoppeln dürfen. Es sind die gleichen Banken, die lautstark Finanzbildung fordern, die am Elend von verschuldeten Menschen exzellent verdienen. Ähnlich engagiert wie flächendeckende Finanzbildung fordern sie die Deckelung von Privatschulden – naturgemäß – nicht.
Ausreichende Finanzbildung schützt nicht vor einer systemisch angelegten Schuldenfalle. Es hilft auch wenig, wenn die Betroffenen in der Schule einst gelernt haben, wie man einen ETF-Sparplan anlegt – wenn schlicht kein Geld da war, um ihn zu besparen, weil sie zu wenig Einkommen haben, prekäre Jobs, hohe Ausgaben durch zum Beispiel Krankheit, Pflege, Kinder. Oder schlicht, weil das Leben passiert: Jobverlust, Scheidung. Das lässt sich nicht durch Benimm-Unterricht für Bankgeschäfte lösen.
Die Armen sind nicht zu dumm oder ungebildet
Dazu kommt: Wer arm ist oder unter ständigem Gelddruck steht, hat andauernd Stress und Sorgen. Dieser Stress frisst mentale Bandbreite. Es passiert eine “Fokusverengung durch Knappheit”.
Studien zeigen: In Armut sinkt unsere kognitive Leistungsfähigkeit drastisch – vergleichbar damit, eine ganze Nacht nicht geschlafen zu haben. Wenn am 20. des Monats das Konto leer ist, bleibt kein Hirnschmalz mehr, um groß über Aktienkurse nachzudenken. Das ist keine Frage der Intelligenz, sondern der Umstände. Arm zu sein macht es schwerer, langfristig zu planen – nicht, weil die Betroffenen dümmer wären, sondern weil sie jeden Tag ihr Überleben jonglieren müssen.
Die Folge: Entscheidungen werden unter suboptimalen Bedingungen getroffen. Kurzfristig pragmatisch, langfristig suboptimal. Arme Menschen entwickeln oft erstaunliche Fähigkeiten, um kurzfristig über die Runden zu kommen. Doch was auf der Strecke bleibt, sind langfristige Planungen: Altersvorsorge, Weiterbildung, Gesundheitsvorsorge.
Druck sorgt für schlechte Entscheidungen, unter lauter schlechten Möglichkeiten
Diese unklugen Entscheidungen sind es, die Außenstehende dann gern als Beleg für mangelnde Bildung anführen: Warum nimmt der Mindestsicherungs-Bezieher einen teuren Handyvertrag? Warum kauft die Alleinerziehende Junk-Food statt frischem Gemüse?
Die Antwort ist meist: Weil die Betroffenen im Alltagsdruck stecken, wo Bequemlichkeit, Verfügbarkeit und sofortiger Bedarf wichtiger sind als die Optimallösung. Wer jeden Tag um 50 Cent feilschen muss, hat abends keine Energie mehr, den ultimativen Preisvergleich aller Stromtarife anzustellen.
Arm sein ist teuer
Tragischerweise sorgt Armut nicht nur für Stress – sie ist oft auch objektiv teuer. Es klingt paradox: Mit wenig Geld lebt man teurer als mit viel Geld. Viele der „unvernünftige“ Verhaltensweisen von armen Leuten sind in Wahrheit Sachzwänge:
„Wer billig kauft, kauft teuer“: Menschen mit knappem Budget können sich hochwertige, langlebige Waren oft nicht leisten und müssen zu billigeren, minderwertigen Alternativen greifen. Der billige Kühlschrank für 200 Euro frisst viel Strom und geht nach 5 Jahren kaputt; der A++-Kühlschrank für 800 Euro hätte 15 Jahre gehalten – aber den kann man sich einfach nicht leisten.
Menschen, die von Armut betroffen sind, bezahlen für die gleichen Sachen mehr als Menschen mit mehr Geld“. Die wohlhabende Familie kauft Schuhe für die Kinder, die halten drei Saisonen; die arme Familie kauft No-Name-Schuhe, die nach einem Winter durch sind und ersetzt werden müssen – am Ende gibt sie mehr aus.
Billig kaufen muss man sich leisten können
Viele Mittelstandsfamilien sparen Geld, indem sie in großer Packung oder auf Vorrat kaufen. Hamsterkäufe bei Sonderangeboten, der Getränkekauf im Super-Sparpack, das 48er-Pack Toilettenpapier vom Großmarkt – all das erfordert eines: Liquidität und Lagerplatz. Beides haben arme Haushalte nicht. Eine Studie der University of Michigan nahm Toilettenpapier als Beispiel und zeigte: Arme kaufen oft in kleinen Mengen und zahlen dadurch im Schnitt 5 bis 10% höhere Preise, weil sie weder die Großpackung noch das Warten auf den nächsten Sale finanzieren können. Auf Vorrat kaufen können, ist Luxus. Man braucht Geld, um sparen zu können – eine bittere Ironie.
Ein weiteres Paradox: Menschen mit knappen Mitteln finanzieren größere Anschaffungen teurer als jene, die über Vermögen verfügen. Zahlen der Nationalbank zeigen: Arme Haushalte müssen ihr Konto überziehen – und entsprechend hohe Überziehungszinsen zahlen. Reiche besichern schlicht, was sie haben – z.B. Eigentum – und erhalten deutlich günstigere Kreditzinsen. Nur wer schon Vermögen hat, kann sich Geld billig ausborgen.
Dazu kommt: Arme Haushalte müssen große Anschaffungen häufiger in Raten zahlen – weil sie größere Ausgaben nicht auf einen Schlag stemmen können. Ratenzahlung und Konsumkredite bedeuten Zinsen und Gebühren. Wer reich ist, kauft das Auto bar und bekommt vielleicht noch Skonto; wer arm ist, nimmt einen Kredit auf und zahlt am Ende deutlich mehr für den gleichen Gebrauchtwagen.
Wo Bildung wirklich eine Rolle spielt
Kombiniert mit geringerer Finanzbildung kann dies natürlich in riskante Verträge münden – hier spielt Bildung dann tatsächlich eine Rolle, etwa wenn Menschen die Wucherzinsen mancher Kredithaie nicht durchschauen. Doch selbst aufgeklärte Personen haben, wenn das Geld knapp ist, keine Wahl: Entweder der teure Kredit, oder die kaputte Waschmaschine nicht ersetzen können.
Diese Beispiele – und es ließen sich viele weitere finden – zeigen: Armut schränkt die Wahlmöglichkeiten ein. Die Finanzentscheidungen armer Menschen wirken oft ineffizient, sind aber meist die bestmöglichen aus lauter schlechten Optionen.
Der niederländische Historiker Rutger Bregman hat in einem vielbeachteten TED-Talk diese Logik zusammengefasst:
„Poverty is not a lack of character, it is a lack of cash“ („Armut ist kein Mangel an Charakter, es ist ein Mangel an Geld“)
Ja, Armut ist weder ein Mangel an Charakter noch Klugheit, sondern an Geld.
Finanzbildung kann zwar warnen („nimm keinen teuren Kredit auf“) – aber wenn du kein Geld hast und es dringend brauchst, nutzt dir die Warnung wenig. Armut lässt sich nicht einfach weg-therapieren mit ein paar Unterrichtseinheiten. Natürlich – Basiswissen über Finanzprodukte kann vor mancher Falle schützen, das will ich gar nicht abstreiten. Aber zu glauben, man könne mit Finanzbildung die Geldprobleme von Mindestpensionistinnen oder alleinerziehenden Mamas lösen, glaubt auch man kann eine gebrochene Hand mit guten Ratschlägen heilen. Da braucht es andere Instrumente: Sozialpolitik, Regulierung, Umverteilung – und individuelle Unterstützung wie die Schuldner:innenberatung.
Dazu kommt: Finanzbildung bringt laut Studien gar nicht den erhofften Segen. Mehr Wohlstand, bessere Entscheidungen, weniger Schulden? Das alles wäre jedenfalls nicht nachweisbar.
Schulfach Finanzbildung ändert fast nichts
Zahlreiche Studien haben untersucht, ob Finanzkurse in der Schule später zu klügerem Finanzverhalten führen. Das Ergebnis ist meist: kaum Effekt. Eine große Meta-Studie fand heraus, dass Bildungsprogramme gerade mal 0,1 Prozent der Varianz im Finanzverhalten erklären konnten – statistisch praktisch null. Und selbst diese minimalen Effekte verpuffen oft schnell: Das neue Wissen wird – wie jedes Wissen – ohne Anwendung schnell wieder vergessen. Mit anderen Worten: Die Schüler:innen wissen nach einem Kurs vielleicht, was ein ETF oder eine Aktie ist, aber schon ein Jahr später hat das de facto keinen mehr Einfluss darauf, wie sie tatsächlich mit Geld umgehen.
Auch Lauren Willis – die amerikanische Rechtsprofessorin – spricht von einem „fatalen Irrglauben“: Man wiegt sich in Sicherheit, hat vielleicht sogar mehr Selbstvertrauen, weil man einen Finanzkurs gemacht hat, trifft dann aber genauso schlechte oder sogar schlechtere Entscheidungen. Gerade übermäßiges Vertrauen ist gefährlich: Etwa junge Leute, die nach etwas Börsen-Unterricht glauben, sie könnten den Markt schlagen, und dann in spekulative Krypto-Abenteuer stürzen.
Wie kann Schulfach Finanzbildung doch funktionieren?
Heißt das jetzt, Finanzbildung in der Schule ist per se Unsinn? Nicht unbedingt. Es kommt darauf an, wie man es macht und mit welchem Ziel. Die aktuelle Variante riecht nach Lobbyagenda – doch man könnte Finanzbildung auch anders denken: pluralistisch, emanzipatorisch, problemorientiert.
Stellen wir uns einen Finanzunterricht vor, der wirklich den Menschen nützt und nicht den Banken: Er würde breiter ansetzen. Nicht nur „Wie eröffne ich ein Depot?“ sondern: Warum sind manche reich und andere arm? Was läuft schief, wenn so viele in Schulden geraten? Was hat Politik damit zu tun? Die Zusammenhänge sehen und verstehen, Kontext herstellen, verantwortlich handeln lernen – das zeichnet gute Wirtschafts- und Finanzbildung aus.
Pluralistisch hieße: verschiedene Perspektiven einbeziehen. Also nicht nur die neoliberale „Du bist deines Glückes Schmied“-Leier, sondern auch kritische Ansätze: Welche Rolle spielen z.B. Konsumdruck, Werbung, Ungleichheit? Emanzipatorisch heißt: die Menschen befähigen, über ihre Lebensrealität Bescheid zu wissen und sich gegebenenfalls auch gemeinsam zu wehren – z.B. gegen Wucherkredite oder die Ausweitung der Arbeitszeit. Problemorientiert heißt: am echten Leben ansetzen. Also Fragen behandeln, die Jugendliche wirklich haben: Warum wird Wohnen teurer? Was tun bei Schulden? Wie funktioniert das mit den Energiepreisen? All das gehört auf den Tisch.
Kritische Finanzbildung würde auch thematisieren, dass unsere Wirtschaft nicht naturgegeben ist, sondern von Menschen gemacht ist. Und alles, was von Menschen gemacht ist, kann auch verändert werden.
Die wichtigen Fragen stellen
Stellt euch vor, ein Finanzbildungsunterricht, in dem auch mal diskutiert wird: Brauchen wir strengere Regeln für Banken? Was bringen Reichensteuern? Das wäre doch mal was. Damit würde Finanzbildung emanzipatorisch: Die Jugendlichen lernen, ihre eigenen Interessen zu erkennen und zu vertreten. Das wäre was anderes, als ihnen Finanzprodukte zu verkaufen. Es bedeutet auch, dass sie Ungerechtigkeiten erkennen und sich politisch einmischen können. Finanzbildung darf nicht heißen: “Hier habt ihr das Handwerkszeug, um Zinseszinseffekt zu berechnen” Sie sollte heißen: “Hier versteht ihr, wie das System läuft – und wie wir es gemeinsam verbessern können.”
Bildung befähigt Menschen, auch mal nein zu sagen – etwa zu einem Finanzprodukt, das sie nicht brauchen, oder zu einer Politik, die ihnen schadet. Wer wirtschaftlich handlungsfähig sein will, muss nicht nur die Spielregeln kennen – sondern auch wissen, wie man sie verändert. Deshalb ist Finanzbildung politische Bildung – und kein neutrales Projekt.