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Demokratie

ÖVP und Wirtschaftsforscher:innen – Zu viel Nähe, ganz ohne Verschwörung

ÖVP und Wirtschaftsforscher:innen – Zu viel Nähe, ganz ohne Verschwörung
Wenn alle gleich denken, muss man niemanden unlauter beeinflussen
Um zu erklären, warum Wirtschaftsforscher:innen und ÖVP-Politik sich so nah und einig sind, muss man nicht über Geldflüsse sinnieren. Die Machtverhältnisse sorgen für eine sehr einheitliche Meinung, die einiges übersieht. Momentum-Chefökonom Oliver Picek kommentiert.

Österreichs Budgetdefizit ist viel größer, als noch vor wenigen Monaten von den Wirtschaftsforscher:innen angenommen wurde und die ÖVP-Finanzminister angekündigt hatten. Wirtschaftsredakteur Josef Urschitz fragt sich deshalb derzeit in der “Presse”, ob WIFO und IHS das Budgetdefizit deshalb so gnädig nahe an drei Prozent prognostiziert haben, weil sie so viel Geld vom Finanzminister (damals Magnus Brunner, ÖVP) bekamen. 

Das glaube ich nicht, weil ich die Integrität der Mitarbeiter:innen nicht anzweifle – selbst, wenn von der Politik Druck kommt. Der größte politische Druck kam bisher von Thomas Schmid (ÖVP- Mitarbeiter) sowie Raiffeisen und Industriellenvereinigung. Die strichen schon in der Vergangenheit ihre Beiträge, wenn die Nachrichten der Wirtschaftsforscher zu politisch unliebsam wurden.

Eine Frage der Machtverhältnisse

Aber es gibt einen anderen Grund, wieso es zu so einem Systemversagen kommt. Die zu große ideologische Nähe auf Chefebene. Der Präsident des WIFO ist Harald Mahrer (ÖVP) von der Wirtschaftskammer, dementsprechend ist auch der WIFO-Chef deutlich wirtschaftsliberal eingestellt. Es ist kein Zufall, dass er etwa kein Keynesianer ist.

Der Chef des IHS wird von einem Kuratorium bestimmt, dass aus konservativen Ex-Politiker:innenn, (Ex-)Funktionär:innen/Mitarbeiter:innn, und weisungsgebundenen Beamt:innen besteht, die fast alle einer einzigen Partei zugeordnet sind (ÖVP).

Wenig Distanz zu gleichgesinnter Politik

Das alles spricht nicht gegen die beiden Leiter als Person. Eine Weltanschauung hat schließlich jede:r – auch Ökonom:innen. Objektivität gibt es nicht. Nur müssten die Medien einen besseren Job dabei machen, ihren Leser:innen zu erklären, wo beide ihre unsichtbaren Flecken haben und welcher Weltanschauung sie zuneigen. 

Die weltanschaulichen „Freunde“ traten sich nicht zu sehr auf die Füße. Klare Worte der Wifo/IHS Leiter zum Totalversagen der Finanzminister Gernot Blümel und Magnus Brunner? Fehlanzeige. 

Dafür gab es mehrmals gemeinsame Pressekonferenzen mit dem Finanzminister, der größter Financier der beiden Institute ist. Man feierte etwa gemeinsam die Abschaffung der Kalten Progression ab, die für Österreichs Budgetmisere mitverantwortlich ist. Oder es gab Doppelinterviews mit einem Arbeitsminister, der selbst einst vom IHS-Chef zum ÖVP-nominierten Ministerjob befördert wurde. An sich müsste so ein Wechsel für mehr kritische Distanz der Wirtschaftsforscher zur Politik sorgen, nicht weniger.  

Gute Ratschläge? Gut für wen?

Schlimmer noch: Beide Chefs machen sich viele Gedanken, was den Unternehmensbesitzern nützt. Die Gewinne mancher Industrieunternehmen gehen gerade zurück. Das ist sehr bedauerlich, aber an sich ein normaler Vorgang in einer anhaltenden Rezession. Trotz klammer Staatsbudgets wollen die beiden Leiter die Abgaben für große Unternehmen nun in Milliardenhöhe senken. Auch die realen Löhne sollen sinken, um die Gewinne zu steigern. Kürzt man die Löhne, sinkt aber die Kaufkraft der Menschen. Ist die Politik-Empfehlug der beiden nun das beste für das Land, oder doch nur für eine bestimmte Lobbygruppe?

Eine mögliche Lösung ist, wieder eine weltanschaulich ausgewogenere Leitung der Wirtschaftsforschungsinstitute hinzubekommen. Dann geht das schädliche Gruppendenken zurück, weil der eine Chef (oder Chefin) die ideologisch unsichtbare Flecken des anderen aufdeckt und korrigiert.

Wenn unter den „führenden“ Wirtschaftsforscher:innen mehr Meinungsvielfalt herrscht, befruchtet das die Diskussion in einer Demokratie. Eine Einheitsmeinung mag schön sein für Industriellenvereinigung oder Wirtschaftsbund, aber bringt der Republik und ihren Bürger:innen nichts.

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