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Ungleichheit
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Obdachlos und queer? Sozialarbeiter:innen fordern besseres Angebot

Obdachlos und queer? Sozialarbeiter:innen fordern besseres Angebot
Notschlafstellen, Tageszentren und Übergangswohnungen sind für obdachlose Menschen, die queer oder trans sind, nicht sicher. Das soll sich ändern, fordern Sozialarbeiter:innen in einem Positionspapier. Foto: Lisett Kruusimäe/Pexels
Beleidigungen, Anfeindungen, körperliche Übergriffe und Zwangs-Outings: Notschlafstellen, Tageszentren und Übergangswohnungen sind für trans Personen nicht sicher. Das soll sich ändern.

Um die Existenz und Bedürfnisse von trans Personen hat sich ein regelrechter Kampf entwickelt. An ihren Körpern werden politische Schlachten ausgetragen. Gleichzeitig sind trans Menschen heute viel sichtbarer als früher. Auch unter wohnungslosen Menschen in Wien.

Notschlafstellen, Tageszentren und Übergangswohnungen schließen queere Menschen aus. Zu diesem Schluss kommt eine Arbeitsgruppe aus Fachpersonal, das in der Wiener Wohnungslosenhilfe arbeitet.

Niemand weiß, wie viele trans Personen Hilfe brauchen

Wie viele trans Menschen in Österreich leben, weiß niemand. Schätzungen der Sozialversicherungen gehen von 400 bis 500 Personen aus. Zahlen dazu, wie viele trans Personen in Österreich keinen fixen Wohnort haben, gibt es nicht.

„Man kann eine ziemlich große Dunkelziffer erkennen, die wir auch im Alltag sehen“, sagt Malik Čuljak, der an dem Papier mitgearbeitet hat. Als Sozialarbeiter bei einer Notschlafstelle für junge Menschen arbeitet auch er mit trans Personen.

Aktuell gibt es keine Einrichtung, die auf queere Wohnungslose zugeschnitten ist. Aber: „Es gibt viele Einrichtungen, die wegkommen von diesem binären Denken“, sagt Mitautorin Katharina Watzl, die ebenfalls mit wohnungslosen Jugendlichen arbeitet.

Trotzdem können viele Menschen bestehende Angebote nicht annehmen, „weil man sich nicht sicher fühlt, wenn man sich nicht akzeptiert fühlt, wenn man seine Identität nicht ausleben kann oder respektiert wird“, sagt Čuljak.

Die fachkundigen Autor:innen fordern, dass sich das ändert.

Queer und obdachlos: Diskriminierung und Gewalt statt Hilfe

Obwohl Wien ein breites Angebot für obdachlose Menschen hat, sind gerade trans Frauen mit Diskriminierung und Gewalt in Einrichtungen konfrontiert, die ihnen eigentlich helfen sollten.

Zum Beispiel in der Notschlafstelle OG5, die 2021 in einem Pilotprojekt versuchen sollte, speziell queere Personen anzusprechen.

Doch andere Bewohner und sogar Mitarbeiter:innen wurden verbal und körperlich übergriffig oder äußerten sich queerfeindlich, berichteten trans Frauen in einer Studie zum Projekt, die 2023 erschien.

Eine trans Frau erzählte Forscherinnen etwa, dass sie in der Unterkunft mehrmals als „schwul“ beschimpft wurde. Außerdem sollen trans Frauen besonders schnell Hausverbot bekommen haben, wenn Konflikte aufkamen.

Seitdem habe sich viel getan, sagt Julia Fleischmann, Pressesprecherin beim Fonds Soziales Wien, der die Wiener Wohnungslosenhilfe steuert. Die Sensibilisierung von Mitarbeiter:innen sei vorangetrieben und bestehende Angebote weiterentwickelt worden.

Es braucht sichere Räume für trans Personen

Trotzdem gibt es noch Luft nach oben.

Zu den Forderungen der Autor:innen des Positionspapiers gehören Ruheräume für queere Menschen in Tageszentren, eigene Bereiche in Notschlafstellen und geschlechtsneutrale Toiletten und Duschen.

Noch ist der Standard eine Trennung nach Geschlecht: Frau oder Mann? Gerade bei trans und inter Personen können Mehrbettzimmer und Gruppenduschen zum Zwangsouting führen und die Betroffenen emotional, psychisch und sogar körperlich in Gefahr bringen.

Körper von Klient:innen sollen nicht bewertet werden

Am sichtbarsten werden Konflikte rund um trans Frauen, wenn diese nicht typisch weiblich auftreten.

Eine Sozialarbeiterin in einem österreichischen Tageszentrum für weibliche Wohnungslose gab an, dass die Einrichtung grundsätzlich allen Frauen offenstünde. Doch zumindest einer trans Frau verwehrte das Team den Zugang. Die Begründung: Die Betroffene „war sehr groß, hat eine sehr laute Stimme gehabt, eine sehr tiefe Stimme“.

Ausschlaggebend war unter anderem ein Vergleich mit anderen trans Frauen, die Zeit im Tageszentrum verbrachten. Diese hätten sich stark geschminkt und Perücken getragen, also viel Wert darauf gelegt, ein bestimmtes Frauenbild zu vermitteln.

Das dokumentierte Miriam Tobisch 2019 in ihrer Masterarbeit, für die sie Sozialarbeiter:innen und wohnungslose trans Personen befragt hat.

Die Autor:innen des Positionspapiers beschreiben Entscheidungen wie diese als problematisch. Die Körper von Klient:innen sollten nicht bewertet werden, ihre Geschlechteridentität nicht hinterfragt.

Keine Schutzräume für Geschlechtsangleichungen

Wer auf der Straße lebt, hat nur schwer Zugang zu geschlechtsangleichenden Behandlungen wie Hormonen und Operationen. Es fehlt an Privatsphäre, um sich etwa Östrogen zu spritzen, und an Ruheräumen, um sich von einer Operation zu erholen, argumentieren sie.

Das Problem: Aufgrund der fehlenden Geschlechtsangleichung wird einer Frau der Zugang zu einer weiblichen Unterkunft verwehrt. Ohne diesen Schutzraum kann sie ihre medizinische Behandlung kaum beginnen.

Wer kriegt wo Hilfe?

Die Aufnahmepolitik unterscheidet sich je nach Einrichtung oder hängt sogar davon ab, welche Mitarbeiter:innen im Dienst sind, erklärt Sozialarbeiterin und Mitautorin Nadja Struber.

Welche Stellen das Wissen und die Ressourcen haben, um obdachlosen trans Personen zu helfen, wird aktuell eher informell weitergegeben, sagt Struber. Die Aufnahmebedingungen sollten besser öffentlich gemacht werden.

MOMENT.at hat bei Trägern und Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe nachgefragt, welche Regeln bei der Aufnahme von trans Personen gelten.

Welche Einrichtungen trans Personen aufnehmen

Laut Caritas-Sprecherin Michaela Ritter werden das Tageszentrum und die Notnächtigungsplätze im Wiener Frauen*Wohnzentrum regelmäßig von trans Frauen genutzt. Allerdings haben nur jene trans Frauen Zutritt, deren Aussehen von anderen als weiblich interpretiert wird. Trans Männer können das Frauen*Wohnzentrum nicht nutzen.

Im Haus Miriam sind die Regeln lockerer. Hier betreuen Sozialarbeiter:innen wohnungslose Frauen längerfristig. Sie wohnen in Einzel- und Doppelzimmern. Im Haus Miriam sind grundsätzlich alle Frauen sowie trans Männer willkommen.

„So braucht es sowohl Schutzräume für Frauen, die unerwünschte Begegnungen mit Männern verhindern, als auch inklusive Wohneinrichtungen, die sich explizit auch an Transfrauen und Transmänner richten“, schreibt Ritter in einem Statement an MOMENT.at.

Die Caritas-Fraueneinrichtungen dokumentieren die Zahl der trans Personen in Betreuung nicht systematisch. Auch, um ein Zwangsouting zu vermeiden. Laut Ritter ist gerade bei Angeboten für junge Erwachsene „Geschlechterdiversität ein zunehmend großes Thema“.
In den Einrichtungen des Roten Kreuz werde individuell mit den Betroffenen geklärt, ob sie die Angebote nutzen können, sagt Pressesprecherin Sophia Blank.

Daten zur Anzahl der betreuten obdachlosen queer und trans Personen gibt es nicht, allerdings sei es seit kurzem möglich, unter anderem „divers“ als Geschlecht anzugeben, was bisher drei Klient:innen wahrgenommen haben.

Eine Unterkunft mit geschütztem Bereich für trans Personen

Im Tageszentrum Ester, das vom Fonds Soziales Wien betrieben wird, können alle Frauen, ob cis oder trans, das Angebot anonym nutzen. Die Unterkunft führt keine Statistik über die Zahl der trans Klientinnen – bei Ester seien alle Frauen schlicht Frauen.

„Eine im ersten Moment als männlich gelesene Person wird beim Reinkommen gefragt, wie sie angesprochen werden möchte“, sagt Sprecherin Fleischmann in einem Statement an MOMENT.at. Sollte aus diesem Kontakt unklar sein, ob die Person das Angebot in Anspruch nehmen kann, wird erklärt, dass Ester für alle Frauen offen ist, nicht aber für Männer.

Bei trans Männern und nicht-binären Personen kommt es auf die Einzelperson an. Ausschlaggebend sei „das Bedürfnis, sich in einem Frauenschutzraum aufzuhalten“, sagt Fleischmann.

Zumindest eine Wiener Unterkunft bietet einen eigenen Bereich für trans Personen. Das Chancenhaus an der Rossauer Lände von der Diakonie eröffnete im Frühling 2024. Dort stehen insgesamt 70 Plätze in Einzel- oder Doppelzimmern zur Verfügung. Eine Handvoll Betten sind für trans und inter Personen reserviert.

Trans Klient:innen habe es immer schon gegeben, sagt Sozialarbeiterin Watzl. Noch vor vier Jahren bemerkte sie viel Transfeindlichkeit. Seitdem habe sich viel zum Guten verändert.

Es geht um Würde

Auch das Positionspapier trägt dazu bei. In der Wohnungslosenhilfe wurde das Papier positiv aufgenommen, unter anderem in der Caritas und beim Roten Kreuz.

Struber berichtet, dass Leitungen von Einrichtungen angefragt haben, um über die Forderungen zu sprechen. Andere benutzen den Forderungskatalog als Checkliste.

Wenn ihre Forderungen umgesetzt werden, hilft das allen, argumentieren die Autor:innen. Denn jede wohnungslose Person würde von mehr Inklusion und mehr Privatsphäre beim Schlafen und Duschen profitieren, sagt Watzl. Damit sich alle Menschen „in ihrer Würde wiederfinden dürfen.“

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