Die Klimakrise wandelt Wien: “Man muss die positive Veränderung selbst erleben”
MOMENT.at: Nicht erst seit das Klima in einer Krise ist. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Wien bereits seit Jahrhunderten die Auswirkungen des Klimawandels spürt. In der EU ist Wien sogar eine der Hauptstädte, die am stärksten von der Erderwärmung betroffen ist. Ist Wien darauf schon vorbereitet?
Hutter: Wenn Sie mich fragen, kann es natürlich immer mehr sein. Man darf aber gerade in Zeiten wie diesen nicht immer nur sagen, was alles schlecht ist, sondern muss auch die positiven Dinge hervorheben. Jährlich aktualisierte Hitzeaktionspläne, Umbauarbeiten wie zum Beispiel am Praterstern oder der Ausbau der verschiedensten Radwege.
Göttche: Das Bewusstsein ist da.
MOMENT.at: Der Klimawandel ist kein neues Phänomen, auch wenn er schlimmer wird. Hätte Wien schon früher beginnen müssen, sich darauf vorzubereiten?
Hutter: Man hätte definitiv schon früher Maßnahmen ergreifen können. Es gibt eine Vision und ein Commitment, aber es geht nicht so schnell, wie ich und meine Kolleg:innen das gerne möchten. Spätestens seit dem Hitzesommer 2003 war klar, dass das nicht nur ein Einzelereignis sein wird, dass Hitzeperioden in Zukunft deutlich länger werden. Man darf aber nicht vergessen, dass man auch gegen politische Kräfte arbeitet, die alles Mögliche in Bewegung setzen, damit sich nichts verändert. Daher ist das Wichtigste, dass die Bemühungen kein Ende finden und sich nicht die Kräfte durchsetzen, die aus hirnrissigen Gründen alles partout ablehnen. Wenn man sich die täglichen verstörenden Meldungen ansieht, die von jenseits des Atlantiks kommen und die auch bei uns Schule machen, habe ich schon Sorge.
MOMENT.at: An welchen politischen und städtebaulichen Entscheidungen der Vergangenheit hat Wien in Bezug auf den Klimawandel bis heute am stärksten zu nagen?
Hutter: Als der Autoverkehr in den 60er Jahren aufkam und dann immer mehr wurde, hat man praktisch alles für den Individualverkehr hergerichtet. Das muss für andere Verkehrsteilnehmer:innen jetzt wieder Stück für Stück zurückerobert werden.
Das wird dann immer so dargestellt, als wolle man alle Autos verbieten. Dabei geht es nicht darum, das Auto zu verteufeln, sondern wie es sich gut in den Alltag integrieren lässt und wo es vermeidbar wäre – zum Beispiel bei Autofahrten unter 500 oder einem Kilometer.
Göttche: Ich finde das Zubetonieren der Stadt während früherer Dekaden schwierig. Das rückgängig zu machen kostet Zeit, Geld und Überzeugungskraft.
MOMENT.at: Stichwort Autoverkehr. Wien ist die einzige Landeshauptstadt Österreichs, in der mehr Menschen den öffentlichen Verkehr nutzen als das Auto. Aber die Entwicklung stockt und die Stadt erreicht die eigenen Ziele nicht, um weniger Autoverkehr zu verursachen. Wie schafft man es, diejenigen von einem Umstieg auf Öffis oder Rad zu überzeugen, die trotz des guten Nahverkehrs immer noch lieber ins Auto steigen?
Hutter: Manche wird man nicht aus dem Auto rausbringen, weil sie das einfach sehr gerne machen. Das ist wie bei Raucher:innen, die sagen: “Ja, ich weiß, das ist schlecht, aber ihr könnt machen, was ihr wollt, ich rauche weiter.“ Ich gehe davon aus, dass es beim Auto ähnlich ist. In Wien ist der Großteil der Bevölkerung aber bereits so unterwegs, wie man es sich wünscht und man muss schauen, dass diese Mehrheit auch bedient wird. Dafür müssen gewisse Dinge wie die Intervalle und die Erreichbarkeit noch verbessert und die Strukturen angepasst und ausgebaut werden. Es muss kostengünstiger und attraktiver werden. Das ist politisch induziert.
Göttche: Ich glaube, Ziel kann nicht nur sein, die zu erreichen, die noch nicht mit den Öffis fahren. Es ist auch wichtig, dass man die, die sie bereits nutzen, weiterhin mitnimmt. Also zu schauen, welche Maßnahmen es braucht, um die Öffis attraktiver zu machen. Nicht nur, indem man das Verkehrsnetz ausbaut, sondern auch indem das schon vorhandene attraktiver gestaltet wird. Ich bin zum Beispiel froh, dass der Preis nicht wie bei der Autobahnvignette jedes Jahr steigt.
“Wie sich etwas zum Positiven verändert hat, sieht man erst im Nachhinein.”
MOMENT.at: Wer sich heute alte Fotos von Wien ansieht, sieht darauf an Orten, die heute verkehrsberuhigte Begegnungs- oder Fußgängerzonen sind, häufig viel befahrene und zugeparkte Straßen. Wieso können solche Positivbeispiele Menschen nicht davon überzeugen, dass der öffentliche Raum für alle da sein sollte und nicht vorrangig für Autos?
Hutter: Das Erleben macht was mit einem. Das hat man an der Mariahilfer Straße gesehen. Wie es früher war, daran kann sich keine:r mehr erinnern. Die Politik muss den Bewohner:innen irgendwie klar machen, dass solche Maßnahmen eigentlich eh leiwand sind und Klimaschutz nicht bedeutet, dass die Menschen in ihren Bedürfnissen beschnitten werden. Die Vorteile herausstreichen – das ist der Schlüssel zum Erfolg.
Göttche: Ich glaube, das ist genau der Knackpunkt. Die Politik muss den Mut haben, Dinge umzusetzen. Man muss die positive Veränderung selbst erleben. Wie sich etwas zum Positiven verändert hat, sieht man nämlich erst im Nachhinein.
MOMENT.at: In Österreich wünscht sich der Großteil der Wähler:innen aller Parteien mehr Klimaschutz. Diesen klimapolitischen Willen der Bevölkerung erfüllt fast keine der Parteien. Die ÖVP plakatiert im Wien-Wahlkampf stattdessen “Auto verbieten? Verboten!”. Die SPÖ hält am Lobautunnel fest, und für die FPÖ ist das Auto ohnehin das Maß aller Dinge. Arbeitet die Politik an den Interessen der Menschen vorbei? Sind die Wiener:innen schon weiter als die Politik?
Göttche: Manchmal macht die Politik Politik, weil sie glaubt zu wissen, was die Bürger:innen sich wünschen. In Wirklichkeit sind aber nur die am lautesten, die ihren Parkplatz nicht hergeben möchten. Die, die sich über Veränderung freuen, erheben ihre Stimme nicht. Ich würde mir mehr Mut von der Politik wünschen, vor allem wenn es Zahlen gibt, die belegen, dass der Wunsch nach Veränderung offensichtlich ohnehin größer ist als das Bauchgefühl der Politiker:innen.
Hutter: Den Großteil der Menschen kann man mitnehmen, das möchte ich auch unterstreichen. Die Wissenschaft liefert Grundlagen, sie kann beraten und fordern, aber entscheiden tut letztendlich die Politik. Es gibt Dinge, bei denen man nicht jedes Mal eine Versammlung machen kann, um zu überlegen, ob zum Beispiel die Begrünung der Stadt wichtig ist. Das ist wissenschaftlicher Fakt und es muss auch die Bereitschaft da sein, das anzuerkennen. Wenn ein gewisser Teil aber wissenschaftsfeindlich eingestellt ist, wird es schwierig – gerade wenn es um so emotionale Themen wie den Autoverkehr geht.
MOMENT.at: Vor der letzten Wien-Wahl 2020 war die Klimakrise in aller Munde – auch wegen der großen Fridays for Future-Demos ab 2019. Mittlerweile ist der Aktivismus auf dem Rückzug.Welchen Anteil hatten Medien und Politik an diesem beinahe völligen Ende des Aktivismus und des zivilen Ungehorsams?
Göttche: Ich glaube, dass die Medien nicht so gut funktioniert haben wie in dem Fall in Wien, den wir auch in unserem Buch schildern. [Anmerkung der Redaktion, darüber, was im Buch steht: 1870 setzte sich Joseph Schöffel als Autor zahlreicher Zeitungsartikel für den Erhalt des Wienerwalds ein. Dabei deckte er Machtmissbrauch und Misswirtschaft der Politik auf, informierte und motivierte die Bevölkerung und schaffte ein Bewusstsein für den drohenden Verlust des wichtigsten Erholungs- und Ökoraums der Stadt. Heute gilt er als Pionier und erster moderner Umweltschützer Österreichs, auch wenn sein Antisemitismus kritisch zu betrachten ist und kritisiert wird.] Sie haben viel zur öffentlichen Wahrnehmung und zur Zerstörung dieser Protestaktionen beigetragen.
Hutter: Dass der Aktivismus auf dem Rückzug ist, ist ein trauriges Schicksal. Wir haben dazu eine Befragung durchgeführt, bei der sich herausgestellt hat, dass Medien einen tragenden Anteil daran hatten. Wenn negativ berichtet wurde, und die Berichterstattung war häufig sehr negativ, dann ist es auch negativ weitergegangen. Zusammen mit den politischen Aussagen und der Kriminalisierung der Aktivist:innen, für die jetzt sogar Haftstrafen drohen, ist das natürlich abschreckend. Wenn man alle verunglimpft, die sich für Natur- und Umweltschutz einsetzen, ist das kein gutes Zeichen – auch nicht für Kinder und Jugendliche. Da muss man sich schon überlegen, wie ziviler Ungehorsam noch funktionieren kann und wie er von der Gesellschaft wahrgenommen wird.
MOMENT.at: Gab es in der Vergangenheit auch Klimaanpassungsmaßnahmen, die sich für Wien heute noch auszahlen und von denen die Menschen profitieren?
Hutter: Es gibt wirklich viele Dinge, die unsere Vorfahren klug gemacht haben, aber ich würde sagen der Beschluss, dass der Wienerwald so bleibt, wie er ist und nicht verbaut wurde.
Ein weiterer Punkt sind die Freibäder. Ich kenne keine andere Hauptstadt, die so viele Freibäder hat wie Wien. Sie werden gehegt und gepflegt und sind nach wie vor kostengünstig, vor allem die Kinderbäder. Das sind wirklich grandiose Errungenschaften, die uns dank einer extrem guten Verwaltung immer noch zur Verfügung stehen. Das ist nicht selbstverständlich. Gesundheitlich gesehen ist das ein Meilenstein.
Göttche: Was uns auch zugutekommt, ist der Hochwasserschutz, der im 19. und 20. Jahrhundert umgesetzt wurde, damit unsere Stadt nicht dauernd überflutet wird. Vor allem, weil wir heute mit ganz anderen Hochwasserereignissen konfrontiert sind.
Was ich aber besonders interessant finde ist, dass viele positive Aspekte, die unserer Stadt heute nützen, nicht wegen einer zunehmenden Klimakrise geschaffen wurden, sondern aus ganz anderen Gründen.
Hutter: Sie wurden aus gesundheitlichen Gründen und gesundheitlichen Überlegungen geschaffen.
MOMENT.at: Apropos Gesundheit. Welche Auswirkungen hat die Hitze auf die Arbeitswelt und die Gesundheit von Arbeitnehmer:innen?
Hutter: Manche Arbeiten sind, wenn sie zwischen 11 und 16 Uhr stattfinden, nicht mehr verantwortbar – zum Beispiel in der Bauwirtschaft. Die Konzentrationsfähigkeit nimmt ab. Es kommt zu mehr Unaufmerksamkeiten, zu mehr Arbeitsunfällen und in Folge zu mehr Arbeitsausfällen – auch bei Indoorarbeitsplätzen. Wichtig ist, dass man schon jetzt damit anfängt, sich etwas zu überlegen. Und zwar nicht nur aus gesundheitlichen Interessen, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht. Das hätte schon früher beginnen müssen, denn bis sich so etwas in einer Gesellschaft etabliert, dauert es ewig.
“Klimawandel ist auch ein soziales Problem”
MOMENT.at: Wie kann die Politik sicherstellen, dass Wien in Zukunft für alle Menschen eine lebenswerte Stadt bleibt bzw. wird?
Hutter: Klimawandel ist auch ein soziales Problem. In der Regel sind gerade bei Hitze häufiger Menschen mit weniger Einkommen und weniger Bildung am stärksten betroffen. Sie leben dort, wo es sehr warm ist, auch nachts. Gleichzeitig wissen diese Menschen aber weniger über Hitzemaßnahmen Bescheid. Wien war in den letzten Jahren schon aktiv und hat viele Tätigkeiten und Aktivitäten dagegen unternommen. Seit 2008 wird erfasst, wo sich Hitzeinseln befinden und der Hitzeaktionsplan der Stadt wird jedes Jahr überarbeitet. Ich gestehe Stadtrat Jürgen Czernohorszky zu, dass er im Rahmen seiner Möglichkeiten umsetzt, was möglich ist.
Göttche: Was mir sofort einfällt, ist Begrünung. Also abseits von klassischer Platzbegrünung mit Bäumen auch andere Möglichkeiten zu suchen, um die Stadt zu begrünen. Ich denke dabei an Fassaden- und Dachbegrünung. Hier braucht es stärkere Bemühungen.
MOMENT.at: Es heißt, die Wiener:innen sudern gerne. Welche Maßnahme sollte also schon heute umgesetzt werden, damit es in 100 Jahren keinen weiteren Grund zum Sudern gibt?
Hutter: Es ist nicht die Einzelmaßnahme. Es sind die kleinen, mittleren und großen Bündel, die schon überall festgeschrieben und erprobt sind. Bitte einfach umsetzen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.
„Klima wandelt Wien“ von Hans-Peter Hutter und Astrid Göttche
Zu unseren Gesprächspartner:innen:
Astrid Göttche studierte Kunstgeschichte sowie Geschichte, Germanistik und Theaterwissenschaft an den Universitäten Wien und Hamburg. Ihre Forschungstätigkeiten und Publikationen konzentrieren sich auf Themen der Wiener Stadt- und Kulturgeschichte sowie der österreichischen Gartengeschichte.
Hans-Peter Hutter ist Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie mit Schwerpunkt auf Umwelt- und Präventivmedizin. Zudem ist er Ökologe am Zentrum für Public Health der MedUni Wien. Wissenschaftlich fundierte Risikoabschätzungen und die verständliche Vermittlung von Umweltrisiken stehen im Zentrum seiner Arbeit.
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