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Ungleichheit

Es geht um mehr als Tampons. Es geht um die Unterdrückung von Frauen

Es geht um mehr als Tampons. Es geht um die Unterdrückung von Frauen
Giftige Schwermetalle in Tampons sind schon ein Skandal. Doch es geht um noch mehr, sagt Lisa Wohlgenannt.
Die Nachricht ist nicht ganz neu: In Tampons wurden giftige Schwermetalle wie Blei, Arsen und Cadmium gefunden. Das Muster dahinter ist noch viel weniger neu: Frauen und ihre Körper werden übersehen, ausgeblendet, unsichtbar gemacht, unterdrückt. Und damit gefährdet. Das alles macht der Gender Data Gap.

Der Aufreger: Eine US-Studie hat Tampons verschiedener Marken untersucht – auch Tampons aus der EU, auch Bio-Tampons. Das Ergebnis: Sie enthalten Schwermetalle wie Blei, Arsen und Cadmium. Der Aufschrei war groß. Zurecht. Wie kann es sein, dass Hygieneprodukten solche gefährlichen Stoffe enthalten und die nicht aus dem Verkehr gezogen wurden? 

Es geht nicht nur um Tampons. Es geht um den Gender Data Gap

Doch es gab auch andere Reaktionen. Unter einem Beitrag auf unseren Social Media-Kanälen zu dem Thema kommentierte ein User beispielsweise: „Wer sich unsicher ist, kann ja einen Bluttest machen und genau diese Schwermetallbelastung auwerten [sic!] lassen.“ Jemand relativierte den Skandal damit, dass auch in Thunfisch Schwermetalle seien. Und so weiter.

Ja, man könnte einen Bluttest machen. Ja, Schwermetalle begegnen uns auch in anderen Produkten und Lebensmitteln. Nein, das tut nicht wirklich viel zur Sache.

Erstens: Der Skandal bleibt ein Skandal. Obwohl uns Schwermetalle inzwischen fast überall begegnen, sind sie in Tampons besonders problematisch. Die Schleimhäute im Intimbereich sind nämlich sehr empfindlich, betont Kathrin Schilling, die Co-Autorin der Studie. Sie würden Giftstoffe schnell aufnehmen und diese würden nicht erst über die Leber gefiltert, wie das beispielsweise bei Nahrung der Fall sei. Sie können sich also viel leichter verteilen und der Gesundheit schaden. 

Frauen* stellen sich nun zurecht die Frage: Was bedeutet das für unseren Körper? Die unbefriedigende Antwort: Wir wissen es nicht. Es gibt keine Untersuchungen dazu. Klar ist: Gesund ist es nicht. Überraschend ist es aber auch nicht.

Denn, zweitens: Es geht nicht nur um Tampons, sondern um die systematische Unterdrückung von Frauen. Es geht um die (Un-)Sichtbarkeit von Frauen. Um die Gesundheit von Frauen. Um die Sicherheit von Frauen. Um das Leben von Frauen. Es geht um den Gender Data Gap. 

Doch von vorne …

Wissenslücken sind lebensgefährlich

Es wurden also Schwermetalle in Tampons gefunden. Dem beliebtesten Periodenprodukt der Österreicher*innen. Das Periodenprodukt, das wir seit fast 100 Jahren nutzen. Und das übrigens – wie alle anderen Periodenprodukte auch – vergangenes Jahr zum ersten Mal tatsächlich mit Blut und nicht mit irgendeiner blauen Flüssigkeit getestet wurde.

Das klingt alles absurd. Das mit dem Blut klingt vielleicht sogar etwas lustig. In der Realität ist es das aber nicht. Dass Frauen, ihre Körper und Bedürfnisse, in Forschung und Daten unterrepräsentiert sind wirkt sich stark auf ihr Leben aus. Es ist meistens absurd, immer ärgerlich und manchmal (lebens-)gefährlich.

Eva, der erste weibliche Crashtest-Dummy

Sehr deutlich macht das der Fall von Eva. Eva ist der erste weibliche Crashtest-Dummy. Also eine Puppe, an der die Sicherheitsvorkehrungen von Autos getestet werden – die bei einem Unfall Leben retten können und sollen. Autos, ihre Sicherheitsgurte und Airbags wurden aber ausschließlich an Puppen getestet, die männlichen Körpern entsprechen. Der vermeintliche Frauen-Dummy war einfach ein kleinerer Männer-Dummy.

Frauen sind aber nicht einfach kleinere Männer. Schultern, Taille, Hüfte, Brust, Körperschwerpunkt – ist alles anders. Und das spielt eine Rolle. Diese Wissenslücke ist gefährlich.

Das Risiko, bei einem Autounfall schwer verletzt zu werden, ist für Frauen laut einem EU-Bericht aus 2013 um 47 Prozent höher als bei Männern. Die Wahrscheinlichkeit zu sterben, ist um 17 Prozent höher.

2018 präsentierte die Ingenieurin Astrid Linder Eva den ersten Crashtest-Dummy, der tatsächlich der weiblichen Anatomie entspricht.

Wir müssen die Gender Data Gap schließen

Crashtest-Dummys, Symptome bei Krankheiten, Nebenwirkungen von Medikamenten, Inhaltsstoffe und deren Auswirkungen in Tampons … Frauen werden oft übersehen, ausgeblendet, unsichtbar gemacht und damit gefährdet. Über den sogenannten Gender Data Gap wissen wir schon längst Bescheid.

Dieser „Gap“ (deutsch: „Lücke“) ist für uns Frauen vielleicht der gefährlichste von allen „Gaps“ – wie dem Gender Pay Gap, Gender Pension Gap, Gender Time Gap, Gender Care Gap, Gender Orgasm Gap und wie sie alle heißen. Weil er lebensgefährlich sein kann. Und weil mangelndes Wissen Grundlage ist für viele andere Ungleichheiten. Deswegen ist es besonders wichtig, dass wir ihn schließen.

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • Grumel
    23.08.2024
    Kann eigentlich nicht so schwer sein, alle technischen Errungenschaften auf solche Unterschiede zu durchforsten und das zu ändern.
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