EU-Defizitverfahren: Was ist das und warum ist es keine Tragödie?
Das Budgetloch in Österreich ist doppelt so groß wie angenommen. Statt rund 6 Milliarden Euro sind es nun bis zu zwölf Milliarden. Gründe dafür sind die schlechte Wirtschaftslage und fragwürdige Budget-Prognosen des ehemaligen ÖVP-Finanzministers Magnus Brunner.
Schon FPÖ und ÖVP sprachen bei den Koalitionsverhandlungen von Sparmaßnahmen in der Höhe von 6,4 Milliarden Euro, um ein EU-Defizitverfahren zu verhindern. Die Koalitionsgespräche scheiterten, wenn auch nicht daran.
Die neue Regierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS übernahm den Großteil des Sparplans und wollte 6,3 Milliarden Euro einsparen. Mit dem nun unerwartet höheren Budgetloch (das ohne ideologische Scheuklappen auch geschlossen werden könnte) steht nun wieder ein Defizitverfahren im Raum – und Expert:innen sprechen sich dafür aus.
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Was ist ein Defizitverfahren?
Machen EU-Mitgliedsstaaten mehr Schulden als erlaubt, leitet die EU-Kommission ein EU-Defizitverfahren ein. Die Grenze sind laut den sogenannten Maastricht-Kriterien drei Prozent des Bruttoinlandprodukts. Dadurch soll vermieden werden, dass die Wirtschaftspolitik eines Mitgliedsstaates negative Auswirkungen auf alle anderen Staaten des gemeinsamen Wirtschaftsraumes hat. Österreichs Verschuldung liegt derzeit bei rund vier Prozent.
Wie funktioniert das Defizitverfahren?
Die EU-Kommission erstellt zuerst einen Bericht, in welchem das übermäßige Defizit festgestellt wird, und legt diesen dem Europäischen Rat vor. Der Rat der Finanzminister entscheidet dann, ob wirklich ein übermäßiges Defizit vorliegt und empfiehlt entsprechende Gegenmaßnahmen.
Die Bundesregierung muss dann der EU-Kommission regelmäßig berichten, wie sie das Defizit verringern wollen. Österreich kann also selbst entscheiden, wie sie das Budgetloch stopfen wollen und wird dabei von der EU-Kommission begleitet. Das Verfahren dauert in der Regel vier Jahre, kann aber auf bis zu sieben Jahre gestreckt werden.
Sollte sich Österreich nicht an das Defizitverfahren und die Berichtspflicht halten, könnte die EU-Kommission Strafen verhängen. Allerdings hat bislang noch nie ein Mitgliedsstaat der EU eine Strafe bekommen.
Was bedeutet ein Defizitverfahren?
Ein Defizitverfahren bedeutet, dass in Begleitung der EU-Kommission über vier bis sieben Jahre ein Sparplan erstellt und verfolgt werden kann. Um es zu verhindern, müsste Österreich noch dieses Jahr eben zwölf Milliarden Euro einsparen.
Was spricht für ein Defizitverfahren?
Das ist auch der Grund, weswegen sich inzwischen nahezu alle Expert:innen für ein Defizitverfahren aussprechen. Das kommende Jahr wird Prognosen zufolge das dritte Rezessionsjahr in Folge werden, also die Wirtschaft schrumpfen. Wird nun noch mehr gespart, beispielsweise bei Förderungen für den Heizkesseltausch, gehen die Aufträge für Unternehmen zurück. Diese machen dann weniger Umsatz, zahlen weniger Steuern und müssen vielleicht sogar Arbeitskräfte entlassen, wodurch die Arbeitslosigkeit steigt. Ein Kreislauf nach unten, der den Wohlstand gefährdet. Ein Defizitverfahren kann das vermeiden.
Was spricht gegen ein Defizitverfahren?
Es gibt die Befürchtung, dass ein Defizitverfahren der Kreditwürdigkeit Österreichs schaden könnte und das höhere Zinsen zur Folge hätte. Dafür gibt es aber allerdings keine belastbaren Daten und Erfahrungswerte, entgegnen Expert:innen. Österreichs Kreditwürdigkeit ist grundsätzlich gut.
Ist ein Defizitverfahren eine gute Idee?
Im Defizitverfahren muss man unmittelbar in diesem Jahr weniger sparen als außerhalb des Verfahrens. Weil Österreich gerade in einer Wirtschaftskrise steckt, ist sparen gefährlich. “Unternehmen und Haushalte geben ohnehin zu wenig aus. Kommt der Staat mit seinen Sparpaketen dazu, schwächt er die Wirtschaft noch mehr”, erklärt Oliver Picek, Chefökonom des Momentum Instituts.
Deshalb sei ein Defizitverfahren sinnvoll, weil der Staat dann etwas weniger sparen muss. Sparpakete wirkten erst nach zwei bis drei Jahren, wenn die Wirtschaft wieder rund läuft. “Denn springt der Motor gar nicht an, braucht man erst gar nicht darüber nachdenken, wohin die Reise geht”, fügt Picek hinzu.
Welche Länder hatten bereits oder haben aktuell ein EU-Defizitverfahren?
Im Juni 2024 leitete die Kommission für sieben Staaten ein Defizitverfahren ein: Belgien, Frankreich, Italien, Ungarn, Malta, Polen und Slowakei.
Gegen alle EU-Staaten wurde mindestens einmal ein EU-Defizitverfahren eingeleitet. Von 2009 bis 2014 nach der durch die Finanzmärkte ausgelösten Weltwirtschaftskrise hatte auch Österreich bereits ein Defizitverfahren. Ein solches Verfahren ist also bekannterweise keine Tragödie.
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