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Klimakrise

Klimaschutz mit sozialer Schieflage: Die Ausweitung des Europäischen Emissionshandels trifft Ärmere härter

Klimaschutz mit sozialer Schieflage: Die Ausweitung des Europäischen Emissionshandels trifft Ärmere härter
Da Menschen mit niedrigem Einkommen einen hohen Anteil ihres Geldes für Energie und Mobilität ausgeben, trifft sie die Reform des Emissionshandels härter. Foto: NordHorizon/Pexels
In Österreich zahlen Bürger:innen bereits für das CO2, das sie verursachen. Mit dem Klimabonus werden die Kosten bis zu einem gewissen Maße ausgeglichen. Nun folgt eine Änderung auf EU-Ebene, die das österreichische System ablösen wird. Der Emissionshandel wird ausgeweitet und betrifft dann nicht mehr nur Unternehmen, sondern auch Privatpersonen. Einkommensschwache Haushalte trifft es besonders hart. Was in Österreich bisher der Klimabonus abgefangen hat, wird es in der Form wohl nicht mehr geben. Gesprochen wird darüber kaum. Dabei wäre jetzt die Zeit, die Reform sozial gerecht zu gestalten.

Wer mit Öl oder Gas heizt oder auf das Auto angewiesen ist, den kommt das künftig teuer zu stehen. Noch teurer als bisher. Grund dafür ist eine Reform des Europäischen Emissionszertifikatehandels (ETS). Bislang war er nur für Industriebetriebe relevant. Ab 2027 gilt er auch für den Mobilitäts- und Gebäudesektor und betrifft damit erstmals auch Privatpersonen. 

Klimaschädliche Aktivitäten wie das Heizen mit Öl und Gas oder das Fahren von Verbrennerautos werden dadurch teurer. “Das ist ja auch die Absicht”, erklärt Sebastian Oberthür, Professor für Umwelt und nachhaltige Entwicklung an der Universität Brüssel. “Ich weiß nicht, ob das jedem schon so klar ist.” 

Pro Haushalt könnten durchschnittlich 802 Euro jährlich fällig werden. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie mehrerer europäischer Think Tanks. 

Für die Menschen in Österreich ist das grundsätzlich nichts Neues. Schon seit 2022 gilt hierzulande der nationale CO2-Preis, der Emissionen in allen Sektoren ein Preisschild verhängt. Bezahlt wird dieser zwar von den Unternehmen, die fossile Energieträger in Umlauf bringen. Letztlich tragen die Kosten jedoch die Endkund:innen, zum Beispiel an der Tankstelle oder bei der Gasrechnung. 

Österreich: Klimabonus gleicht CO2-Preis aus

In der Geldbörse machen sich diese Kosten nicht unbedingt bemerkbar, denn die Einnahmen aus dem CO2-Preis werden in Form des Klimabonus vollständig an die Bürger:innen zurückgezahlt. Das schafft einen sozialen Ausgleich. Wer sparsam lebt, macht mit dem Klimabonus plus. Wer überdurchschnittlich viel CO2 verursacht, zahlt drauf. 

Der österreichische CO2-Preis hat allerdings ein Ablaufdatum. Mit Jänner 2027 wird er vollständig durch den Europäischen Emissionshandel ersetzt, das hat der Nationalrat Mitte Mai beschlossen. Auch der Klimabonus wird damit nach aller Voraussicht abgeschafft. Die Einnahmen aus dem Zertifikatehandel verwaltet nämlich die EU.

Das Klimaschutzministerium erklärt auf Anfrage: Es brauche weiterhin einen sozialen Ausgleich, wie der Klimabonus aktuell ist. Die Details dazu müssten allerdings in den kommenden Jahren noch – im Einklang mit der europäischen Regelung – fixiert werden. Außerdem sei das Klimaschutzministerium zwar in die Vorbereitung des ETS II involviert. Für den Vollzug des Nationalen Emissionshandelsgesetzes sei jedoch das Finanzministerium zuständig. 

Ob es den Klimabonus weiterhin geben wird, ist also noch unklar.

Wie funktioniert der Emissionshandel?

Eigentlich ist der ETSein alter Hut in der Europäischen Klimapolitik. Bereits 2005 startete das System in die erste Phase. Zehn Jahre vor den Pariser Klimazielen, fast 15 Jahre vor dem Europäischen Green Deal. 

Die Idee dahinter ist recht simpel: Statt Unternehmen zu erlauben, uneingeschränkt Treibhausgase auszustoßen, werden Zertifikate verkauft. Die berechtigen dazu, eine gewisse Menge an Treibhausgasen zu verursachen. Jedes Jahr werden weniger Zertifikate ausgestellt. Dadurch wird der CO2-Ausstoß teurer und die Emissionen weniger. 

Bislang mussten nur Industriebetriebe und Energieerzeuger diese Zertifikate kaufen. Das ändert sich mit der Ausweitung des ETS . 

Wie Klimaschutz ärmere Menschen härter trifft

Unproportional stark wird die Reform einkommensschwache Haushalte treffen, die einen größeren Anteil ihres Einkommens für Energie und Mobilität ausgeben. Um die sozialen Auswirkungen der Reform abzufedern, hat die EU daher den Social Climate Fund (kurz: SCF und zu deutsch: sozialer Klimafonds) beschlossen. Der Topf soll vulnerablen Gruppen zukommen, die besonders von der Klimakrise betroffen sind. Finanziert wird er zum Teil durch die Einnahmen aus dem Zertifikatehandel.

Das Geld landet allerdings nicht direkt bei den Betroffenen, sondern finanziert hauptsächlich Investitionen in Energieeffizienz, Gebäudesanierung, sauberes Heizen und klimafreundliche Mobilität. Das soll den betroffenen Personen ermöglichen, ein weniger CO2-intensives Leben zu führen und somit weniger Geld an den Zertifikatehandel zu verlieren. Nur beschränkte Teile des SCF dürfen auch für Direktauszahlungen an Betroffene genutzt werden. 

Welche Maßnahmen konkret durch den Fonds finanziert werden, entscheidet jedes Land selbst. Bis nächstes Jahr müssen die Mitgliedsstaaten der EU dafür nationale Klimasozialpläne vorstellen. 

Der Soziale Klimafonds reicht nicht aus

Nach Angaben der EU sollen 86,7 Milliarden Euro für den SCF zusammenkommen. “Das sind keine Riesenbeträge”, erklärt Sebastian Oberthür, “für Deutschland könnte das auf ein bis zwei Milliarden Euro pro Jahr herauslaufen”. Zum Vergleich: aus dem Klima- und Transformationsfonds, der die deutsche Klimawende finanzieren soll, stehen 2024 allein 49 Milliarden Euro zur Verfügung. 

Zum ersten Mal soll 2026 Geld fließen, also ein Jahr vor dem neuen Zertifikatehandel. Zu kurzfristig, kritisieren Expert:innen. Es brauche mehr Zeit, damit die Investitionen ihre Wirkung entfalten, meint zum Beispiel die Energiepolitikexpertin Camille Defard in einem Beitrag des französischen Jacques Delors Institute. Es werden deshalb wohl auch direkte finanzielle Kompensationen nötig sein, um die Belastungen für einkommensschwache Menschen auszugleichen.

Einen europäischen Klimabonus plant man in Brüssel derzeit aber nicht. Ein Fehler, meint Klimapolitikexperte Reinhard Steurer von der BOKU Wien: “Es wäre sozial bedenklich und ungerecht, würde der Emissionshandel in seiner bestehenden Form ausgeweitet und die Einnahmen nicht zurückgezahlt werden. Ich würde sehr dafür plädieren, dass es auch bei der Ausweitung des Emissionshandels, sowas wie einen Europäischen Klimabonus gibt – der so wie jetzt pro Kopf an die Haushalte ausbezahlt wird.”

Kein Thema für die Europawahl?

Obwohl der erweiterte Zertifikatehandel also gerade einkommensschwache EU-Bürger:innen in finanzielle Schwierigkeiten bringen könnte, spielt das Thema im EU-Wahlkampf der österreichischen Parteien keine Rolle. 

Auf Nachfrage erklärt der Spitzenkandidat der SPÖ Andreas Schieder, dass seine Partei für eine höhere Dotierung des SCF kämpfen werde. In erster Linie gehe es aber darum, “sicherzustellen, dass die Gelder auch tatsächlich bei den Betroffenen ankommen.” 

Auch Anna Stürkgh, Listenplatz zwei bei den NEOS, sieht keinen akuten Handlungsbedarf. Man müsse sich erst anschauen, ob die Maßnahme greift. Dann könne man nachjustieren. 

Thomas Waitz, Vorsitzender der Europäischen Grünen, bezeichnet den Fonds als “Meilenstein” der Europäischen Sozialpolitik. In Dimension und Größe sei er aber weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. “Er alleine wird die soziale Abfederung nicht schaffen.”

Vetreter:innen der ÖVP und FPÖ kritisieren hingegen vor allem die Ausweitung des Emissionszertifikatehandels als solche. Man solle “überlegen, ob die Entscheidung überhaupt richtig ist, wenn sie sozial negative Folgen hat”, argumentiert Lukas Mandl, der für die ÖVP zur Europawahl antritt. 

“Wenn ich keinen Arbeitsplatz habe, dann hilft mir auch ein Social Climate Fund wenig”, kritisiert der FPÖ-Kandidat Georg Mayer. Die FPÖ sei allerdings auch darüber hinaus “in allen Bereichen gegen diesen Green Deal.” 

Andere Vorschläge, wie die Emissionen in den energieintensiven Sektoren Mobilität und Gebäude verringert werden können, bringen beide Parteien allerdings kaum bis gar nicht ein. 

Die wenigsten EU-Bürger:innen wissen wohl, was 2027 auf sie zukommt. Dabei wäre jetzt der Zeitpunkt, um sich auf die kommenden Veränderungen vorzubereiten, meint auch Sebastian Oberthür: “Die Öffentlichkeit hat ein kurzes Gedächtnis. Dennoch ist es wichtig, das langfristig anzukündigen und schon frühzeitig Maßnahmen zu treffen.”

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