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Desinformation bei ServusTV: “Es ist extrem leicht, Bullshit in die Welt zu tragen”

Desinformation bei ServusTV: “Es ist extrem leicht, Bullshit in die Welt zu tragen”
Kommunikationswissenschafter Jakob-Moritz Eberl forscht an der Universität Wien Foto: Michael Winkelmann
Seit der Corona-Pandemie geht es bei ServusTV mit der Reichweite bergauf. Das hat laut Jakob-Moritz Eberl, Komunikationswissenschafter der Uni Wien, auch einen Grund: den Umgang des Senders mit Fakten. Im Gespräch erklärt er, welche Methoden ServusTV dabei benutzt.

MOMENT.at: Verbreitet ServusTV Falschinformationen?

Jakob-Moritz Eberl: Wir unterscheiden in der Forschung grundsätzlich zwischen Misinformation und Desinformation. Der wesentliche Faktor dabei ist, ob man es mit Absicht macht. Misinformation kann passieren, Desinformation ist bewusst.

ServusTV wurde besonders in der Pandemie mehrfach darauf hingewiesen, dass dort diskutierte Narrative oft nicht dem wissenschaftlichen Konsens entsprechen und dass Wegscheider in seiner Sendung Verschwörungsmythen verbreitet. Trotzdem wurde und wird beides weiter durchgezogen. Unter Umständen könnte man da folglich schon auch Absicht unterstellen. Sonst müsste es heißen, dass die Verantwortlichen die Kritik nicht sinnerfassend begriffen haben.

MOMENT: Du hast dich seit der Corona-Pandemie ausführlich mit ServusTV beschäftigt. Was sind deine Kritikpunkte am Sender?

Eberl: Meine Kritik hat drei Aspekte:

Die erste ist eine grundsätzliche Beobachtung. ServusTV hat sich während Corona inhaltlich neu positioniert. Die Reichweite des Senders ist damit explodiert. Das sei ja jedem vergönnt. In diesem Fall ist es aber problematisch, weil ServusTV das strategisch gemacht hat. Wahrscheinlich steckte auch ökonomisches Kalkül dahinter. Man hat sich inhaltlich anders positioniert als die meisten österreichischen Medien.

Der Sender wurde so zum Desinformationsakteur. In Zeiten, wo korrekte Information über Leben und Tod entscheiden kann, ist das extrem problematisch. ServusTV hat sich aber zum Ziel gemacht, immer alle Seiten einer Diskussion zu zeigen.

MOMENT: Aber warum sollte man nicht alle Seiten einer Diskussion abbilden?

Eberl: Das ist mein zweiter Punkt: Sie haben dadurch False Balancing betrieben. Das hat sich bei den Diskussionssendungen gezeigt, etwa dem “Corona-Quartett”. Dort wurden “Expert:innen” wie Sucharit Bhakdi eingeladen. Menschen, die vielleicht einen wissenschaftlichen Hintergrund haben, am aktuellen wissenschaftlichen Diskurs aber nicht mehr teilgenommen hatten. Die wussten über den aktuellen Stand unter Umständen gar nicht Bescheid. Sie nahmen einfach eine Gegenposition ein und wurden deswegen eingeladen. Teilweise wurden Sendungen sogar nur mit ihnen gemacht.

Aus Studien wissen wir ganz klar, was das für Auswirkungen hat. Es vermittelt einen wissenschaftlichen Dissens, obwohl es den als solchen nicht gibt. Gerade in Krisenzeiten riskiert man dabei unter Umständen Menschenleben. Das war man anscheinend gewillt, bis zu einem gewissen Punkt zu akzeptieren.

 

Mein dritter Punkt betrifft den Senderchef, Ferdinand Wegscheider. Er verbreitet in seiner vermeintlichen Satiresendung fast nur Verschwörungsmythen. Er unterstellt etwa Personen öffentlichen Interesses, dass sie mit der globalen Finanz- und Pharmaelite verbunden und von denen gekauft wären. Man muss kein Wissenschaftler sein, um diesen Code zu verstehen. Mit Satire hat das nichts zu tun. Auch wenn ich nachher sage: “Haha, da wird mir jetzt wieder jemand Verschwörungen unterstellen!” und dabei eine Puppe in der Hand halte.

MOMENT: Die Berichterstattung hatte für ServusTV durch die größere Reichweite sicher ökonomische Vorteile. Aber steckt da nicht auch ein Weltbild dahinter?

Eberl: Man muss sich ja nur die Sendung des Senderchefs ansehen, dann wird das offensichtlich. Die Frage ist, wie sehr sich das durch andere Formate zieht.

Bei Talkshows wie “Talk im Hangar-7” zeigt sich das schon auch. Da kommt das Grundmantra “Ich muss alle Positionen zeigen, weil dann können sich Wähler:innen selber ein Bild machen” zum Vorschein. Aber das funktioniert so nicht. Man versagt damit als Journalist:in. Man suggeriert nämlich, dass alle Positionen gleich viel Relevanz haben – auch die am extremen Rand. Oder die, die auf grundsätzlich falschen Annahmen beruhen.

Die Redaktion ist damit nicht neutral, sondern das Gegenteil: Sie macht Positionen sichtbar, die gar nicht sichtbar sein müssten, wenn man den tatsächlichen wissenschaftlichen Diskurs betrachtet.

MOMENT: Aber ab wann ist etwas False Balancing? Wer entscheidet das?

Eberl: Das ist natürlich schwierig, aber genau das ist die Aufgabe von Journalist:innen. Und auch Talk-Sendungen sind Journalismus. Man muss sich ansehen, welche faktische Basis die Position der vermeintlichen Expert:innen hat, die man einlädt. Wenn die in einer völlig anderen Realität existiert, sollte man dem keine Öffentlichkeit geben.

Sie kommen in Talkshows häufig auch gut rüber. Es ist nämlich extrem leicht, Bullshit einfach mal in die Welt hinauszutragen. Vor allem, wenn ich keine faktische Basis für meine Aussagen habe, sondern über Emotionen arbeite. Meistens wird dann den tatsächlichen Expert:innen die Aufgabe überlassen, diese Aussagen dann wieder einzufangen. Das ist aber extrem schwierig. Wissenschaft funktioniert eben nicht so, dass man sagt: “Nein, das ist ein Blödsinn.” Wissenschaftlich fundiertes Wissen wird lange ausgehandelt, erarbeitet und ist komplex zu vermitteln.

MOMENT: Siehst du das Problem nur bei ServusTV?

Eberl: Es ist ein grundsätzliches Problem, vor allem von Diskussionssendungen. Das ist dem Format geschuldet. Aber bei ServusTV ist es besonders auffällig.

Mein Verständnis von Journalismus wäre ja, dass man solchen Positionen nicht einfach Raum gibt. Wenn ich so eine Sendung vorbereite, weiß ich, was auf mich zukommt. Ich weiß, was die Personen sagen werden. Und wenn ich Menschen mit problematischen oder einfach faktisch falschen Positionen schon einlade, muss ich mich darauf vorbereiten, sie unter Umständen auszubessern. Das ist man den Zuseher:innen schuldig. Sonst mache ich mich zum Mittäter oder zur Mittäterin bei der Verbreitung von Falschinformationen.

MOMENT: Welche Auswirkungen haben diese Falschinformationen auf uns – auch in Hinsicht auf Wahlen?

Eberl: Ich will das gar nicht verharmlosen, das Potenzial von Desinformation wird immer größer. Als Wissenschafter muss ich aber sagen: Wir wissen noch nicht genug über die tatsächlichen Effekte. Es scheint zwar nachvollziehbar, dass die Auswirkungen ganz enorm sein könnten. Dass etwa Donald Trump 2016 wegen einer Desinformationskampagne gewonnen hat. Aber so kann man das nicht sagen. Das Problem ist damals schon gewesen, dass ein großer Teil der US-Bevölkerung Trump toll fand. Und sich von Sexismus, Rassismus und Populismus verführen ließ.

Das Hauptziel von Desinformation ist es, Zweifel und Misstrauen zu säen. Wir lassen uns dadurch aber nicht sofort von einer Gegenposition überzeugen. So funktionieren Wähler:innen nicht. Sie werden aber möglicherweise demobilisiert und könnten nicht wählen gehen.

Wenn wir aber ständig eine alarmistische Erzählung über die Macht der Desinformation wiederholen, dann riskieren wir auch, ihr in die Karten zu spielen. Dann beginnt die Bevölkerung vielleicht wirklich, am demokratischen System zu zweifeln. Da gilt es durchaus vorsichtig zu sein.

MOMENT: Schlimm genug, dass Medien wie ServusTV Desinformation verbreiten. Aber ist das Problem in sozialen Medien nicht viel größer?

Eberl: Auch da gibt es große Probleme: Soziale Medien sind ein Ort, an dem sich Misinformationen sehr schnell verbreiten. Algorithmen bevorzugen solche Nachrichten, weil sie beispielsweise stärker emotionalisieren und verkürzen.

Was aber oft vergessen wird: Natürlich existieren sie, die russischen Bot-Armeen, die Unwahrheiten verbreiten. Aber das sind nicht notwendigerweise die viralsten Verbreiter von Desinformation. Der Großteil der Bevölkerung kriegt die Desinformation “von oben” mit. Da geht es unter anderem um rechtspopulistische Politiker:innen, die die Corona-Impfung als Gen-Experiment bezeichnen. Da geht es um Trump, der durchgehend lügt. Oder um Elon Musk, der ein Fake-Video von einer Politikerin postet und das Satire-Label unterschlägt. Populist:innen haben ein ureigenes Interesse daran, dass Bürger:innen allen anderen politischen Akteur:innen und dem demokratischen System insgesamt misstrauen.

Die Multiplikatoren sind also das Problem, nicht so sehr die Bot-Armeen. Und das sind oftmals politische Parteien oder auch einzelne Sendungsformate wie bei ServusTV. Die haben in der Pandemie viel mehr Menschen erreicht als anonyme Bots auf Twitter oder Telegram.

MOMENT: Was können wir dagegen machen?

Eberl: Gerade, wenn es um Verschwörungsmythen rund um die Coronapandemie in den letzten Jahren geht, braucht eine klare Gegenerzählung. Derzeit findet eine Art “Pandemierevisionismus” statt. Ohne klare Gegenpositionen fangen die Menschen zu zweifeln an. Je häufiger, Verschwörungsmythen wiederholt werden, umso eher beginnen Bürger:innen sich zu fragen, ob an solchen Aussagen nicht doch etwas dran ist. Das kann sich dann auch im Verhalten niederschlagen. Und beim nächsten Gesundheitsnotstand stehen wir dann wieder bei null.

Besonders tragisch ist der Umstand, dass wir derzeit wieder eine quasi inexistente öffentliche Gesundheitskommunikation haben und sich die Politik nicht mehr über die Corona-Impfung oder andere Präventionsmaßnahmen zu reden traut, nur weil im Herbst Wahlen sind.

Und es braucht Sendungsformate, die nicht auf das False Balancing ausgelegt sind. Man muss auch Wissenschafter:innen klarmachen, dass sie in solchen Sendungen die Menschen oft nicht mehr erreichen. Mit ihrer Teilnahme legitimieren sie solche Formate aber – und halten sie so am Leben.

 

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • Otto And.
    04.08.2024
    Danke! Sehr klar formuliert!
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